221

Auch in diesem Punkt ist der Anklage Olejak schon deswegen freizusprechen, weil er zu dem fraglichen Zeitraum Ende 1944 gar nicht in Jaworzno gewesen ist. Auf die Frage, ob aufgrund der vorliegenden Aussage des Zeugen Puszyk überhaupt festgestellt werden könnte, ob der betreffende Häftling an den Mißhandlungen durch den von dem Zeugen Puszyk beschriebenen SS. Mann gestorben ist und ob der SS. Mann bei der Mißhandlung des Häftlings mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, braucht unter diesen Umständen nicht mehr eingegangen zu werden. Auch die Staatsanwaltschaft hat in diesem Fall ohne Angabe von Gründen Freispruch beantragt.

IV. Fall I 4 der Anklageschrift (Tötung des Häftlings Goldberg am Lagereingang):

Auch in diesem Fall der Anklage wird dem Angeklagten Olejak zur Last gelegt, den jüdischen Häftling Goldberg, bei dem er unter der Kleidung Papier von Zementsäcken gefunden haben soll, so schwer mißhandelt zu haben, daß Goldberg an den Folgen der Schläge im Häftlingskrankenbau gestorben sei.

Als direkte Tatzeugen für diesen Vorfall hat die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift die Zeugen
Abraham Rabinowicz,
Benjamin Jachimowicz,
Menachem Pruszanowski,
Chaim Schuler,
Mordechaj Hoffmann,
Isaak Mittelmann,
Hersch Nowak und
Aron Pernat
benannt

Da in diesem Fall der Anklage die angebliche Tötung des Häftlings Goldberg Ende 1944 erfolgt sein soll, kam eine Verurteilung schon deswegen nicht in Betracht, da der Angeklagte Olejak zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Jaworzno war. Auch die Staatsanwaltschaft hat insoweit ohne Angaben von Gründen Freispruch beantragt.

Ergänzend ist zu diesem Punkt der Anklage und zu den Aussagen der einzelnen Zeugen, auf die schon unter G) eingegangen worden ist, soweit sie den Angeklagten Olejak und den Rapportführer des Lagers Jaworzno betreffen, noch auszuführen:

1. Hinsichtlich des Zeugen Abraham Rabinowicz wurde die Niederschrift über seine Vernehmung vor der Israel-Polizei vom 7.5.1975 in Anwesenheit des Ersten Staatsanwaltes Gandorfer verlesen, da der Zeuge wegen seines schlechten Gesundheitszustandes weder in der Hauptverhandlung noch im Wege der Rechtshilfe vernommen werden konnte.

Dabei hat der Zeuge Rabinowicz ausgesagt, der Rapportführer Olejak habe seinen Kameraden Goldberg, der aus Lodz gestammt habe, zu Tode gebracht. Im Rahmen einer Kontrolle habe er bei Goldberg etwas gefunden, ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt und Goldberg dann mit in die Rapportführerstube am Lagereingang genommen. Von dort habe er 5 - 10 Minuten lang fürchterliche Schreie gehört. Er habe die Stimme Goldbergs erkannt und ihm sei klar gewesen, daß die Schreie von diesem gekommen seien.

222

Später habe man dann nur noch Schläge und Schreie von Olejak gehört. Dann sei Goldberg durch die Türe dieses Gebäudes nach außen geworfen worden. Von Mithäftlingen sei Goldberg dann zum Block 4 mitgenommen und auf dem Boden niedergelegt worden. Olejak sei zu Goldberg gegangen und habe ihm noch einen Tritt ins Gesicht versetzt. Goldberg sei dann in das Krankenrevier gebracht worden, wo er noch einen, vielleicht auch zwei Tage gelebt habe, dann sei er verstorben. Er habe Goldberg noch im Revier besucht, dieser sei aber nicht mehr ansprechbar gewesen. Er sei sich sicher, daß es Olejak gewesen sei, der Goldberg mißhandelt habe.

Woher er wisse, daß Goldberg verstorben sei, wurde der Zeuge Rabinowicz offenbar nicht gefragt. Ebenso wurde er nicht gefragt, welche anderen SS. Leute sich zum Zeitpunkt des Vorfalles noch in der Rapportführerstube aufgehalten haben.

2. Der Zeuge Benjamin Jachimowicz, auf dessen Aussage schon mehrmals eingegangen worden ist, hat bei seiner Vernehmung durch den zuständigen Richter des Amtsgerichts Tel Aviv bekundet, er habe lediglich Anfang 1944 etwa einen Monat lang beim Außenkommando gearbeitet. In der Folgezeit sei er ausschließlich dem Kommando Rudolfsgrube/Tagesschicht zugeteilt gewesen.

Für den Fall einer Häftlingstötung bei dem Kommando des Kraftwerkes Ende 1944 kommt er schon deshalb als Tatzeuge nicht in Betracht. Im Übrigen hat der Zeuge Benjamin Jachimowicz ausgesagt, von Häftlingsmißhandlungen durch den Angeklagten Olejak im Lager Jaworzno wisse er überhaupt nichts.

3. Der Zeuge Menachem Pruszanowski hat bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung ausgesagt, er sei in Jaworzno nie Zeuge der Tötung eines Häftlings gewesen. Er habe nur die Mißhandlung von Häftlingen gesehen. Speziell könne er sich an einen bestimmten Fall erinnern. Der Rapportführer habe im Rahmen einer Kontrolle des vom Kraftwerk zurückkehrenden Kommandos bemerkt, wie einem Häftling eine Kartoffel aus der Kleidung gefallen sei. Daraufhin habe er den Häftling in die Wachstube geführt. Dort sei der Mann derart geschlagen worden, daß er in den Krankenbau habe eingeliefert werden müssen. Das Schlagen selbst habe er jedoch nicht gesehen. Der betreffende Häftling sei nie wieder in das Kommando zurückgekehrt.

Zur Aussage dieses Zeugen ist zu bemerken, daß er, ebenso wie der Zeuge Rabinowicz, das Schlagen des Häftlings selbst nicht gesehen hat und deshalb zu der Frage, wer den Häftling in der Blockführerstube geschlagen hat, keine Angaben machen konnte. Ob der Häftling, der von dem Rapportführer in die Blockführerstube gebracht worden ist, tatsachlich gestorben ist, kann aufgrund der Aussage dieses Zeugen nicht festgestellt werden.

4. Der Zeuge Chaim Schuler hat bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung bekundet, ihm sei von Tötungshandlungen durch SS. Leute im Lager Jaworzno nichts bekannt worden. Allerdings sei das Schlagen von Häftlingen im Lager kein Problem gewesen.

223

Er erinnere sich an einen Fall, bei dem ein Häftling mit einem Zementsack unter der Kleidung erwischt und dann in der Schreibstube geschlagen worden sei. Er habe bei diesem Häftling anschließend kein Blut gesehen und mit dem Häftling sei auch nichts Besonderes geschehen. Seiner Erinnerung nach habe dieser Häftling Liebermann oder so ähnlich geheißen.

5. Der Zeuge Mordechaj Hoffmann, dessen Aussage zur Person des Rapportführers und zu dem Angeklagten Olejak ebenfalls bereits erörtert worden ist, hat bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung folgendes bekundet:

Er habe immer beim Kraftwerkkommando gearbeitet. Da es kalt gewesen sei, hätten sich einige Häftlinge mit Papier aus Zementsäcken unter der Kleidung gegen die Kälte geschützt. Dies sei verboten gewesen. Einmal sei bei einem Häftling solch ein Papier oder eine Kartoffel gefunden worden. Der betreffende Häftling sei in das Büro des Rapport- oder Kommandoführers gebracht worden. Von dort habe man ihn schreien hören. Ein SS. Mann habe ihn dann mit dem Fuß aus der Türe hinausgestoßen. Dieser Häftling sei dann in den Krankenbau gebracht worden, wobei er noch Lebenszeichen von sich gegeben habe, aber sehr schwache.

Zu der Frage, wer zu diesem Zeitpunkt Rapportführer gewesen ist, hat der Zeuge Hoffmann keine sicheren Bekundungen machen können. Im Übrigen hat auch dieser Zeuge nicht gesehen, wer diesen Häftling in der Blockführerstube geschlagen hat.

6. Der zwischenzeitlich verstorbene Zeuge Isaak Mittelman hat bei seiner Vernehmung durch die Israel-Polizei am 5.5.1975 in Anwesenheit des Ersten Staatsanwaltes Gandorfer auegesagt, er habe gesehen, wie der Rapportführer Olejak einmal einen Häftling am Lagereingang erschlagen habe. Zusammen mit anderen Häftlingen sei er damals von der Baustelle zurückgekommen. Olejak habe eine Kontrolle gemacht und bei einem Häftling etwas gefunden. Olejak habe ihn dann so geschlagen, daß der Häftling auf dem Boden liegengeblieben sei. Mithäftlinge hätten diesen Häftling in den Krankenbau geschleppt. Ob er schon tot gewesen sei, könne er nicht sagen. Er habe ihn nie mehr gesehen. Es habe sich um einen Häftling eines Arbeitskommandos gehandelt.

Auch dieser Zeuge ist nach dem Inhalt der Niederschrift nicht gefragt worden, woher im bekannt geworden sei, daß dieser Häftling verstorben sei. Auf die Widersprüche in den Vernehmungen dieses Zeugen aus dem Jahr 1975 und 1970 wurde bereits hingewiesen.

7. Der Zeuge Hersch Nowak, der den Rapportführer Olejak beim Evakuierungsmarsch auf einem Pferdefuhrwerk gesehen haben will, hat ausgesagt, er habe in Jaworzno nie gesehen, daß Häftlinge von SS. Leuten getötet worden seien. Er habe zwar oft das Schlagen von Häftlingen gesehen. Er wisse aber nicht, ob irgendein Häftling an den Folgen solcher Schläge verstorben sei.

8. Der Zeuge Pernat schließlich hatte bei seiner Vernehmung durch den Zeugen Edelsberg am 2.5.1976, die ihm wiederholt vorgehalten worden ist, bekundet, er habe einmal gesehen, wie der Rapportführer Olejak während einer Kontrolle am Lagertor einen dem Außenkommando angehörenden Häftling so schrecklich zusammengeschlagen habe, daß dieser an den Folgen der Schläge verstorben sei. Dies habe er einen Tag danach erfahren.

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Bei seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht in Tel Aviv hat der Zeuge Pernat ausgesagt, er erinnere sich nicht an einen solchen Vorfall.

V. Fall 1.5 (Erschlagen von zwei Häftlingen auf der Baustelle):

In diesem Fall der Anklage wird dem Angeklagten Olejak folgendes zur Last gelegt:

An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Herbst 1944 sei abends nach Arbeitsschluss auf der Baustelle des Kraftwerkes Wilhelm festgestellt worden, daß zwei russische Häftlinge geflohen seien. Nachdem man vergeblich nach ihnen gesucht habe, sei auch der Angeklagte Olejak auf der Baustelle erschienen. Als man die beiden russischen Häftlinge nicht habe finden können, habe Man einen polnischen Häftling, der mit ihnen zusammengearbeitet habe aus der Reihe geholt. Dieser sei gefragt worden, wohin die beiden Häftlinge verschwunden seien. Da er dies nicht habe sagen können oder wollen, habe man ihn geschlagen. Nach einiger Zeit sei bekannt geworden, daß beim gleichen Kommando auch der Vater und ein Bruder des polnischen Häftlings beschäftigt gewesen seien. Daraufhin habe man die beiden aus der Reihe herausgeholt und der Angeklagte Olejak habe sie zusammen mit einem Kommandoführer in Gegenwart des polnischen Häftlings schwer mißhandelt. Dadurch habe man erreichen wollen, daß der polnische Häftling angesichts der Mißhandlungen seines Bruders und seines Vaters das Versteck der beiden russischen Häftlinge verraten sollte. Als er dies nicht getan habe, habe der Angeklagte Olejak zusammen mit dem Kommandoführer solange auf den Vater und den Bruder des Polen eingeschlagen, bis beide tot gewesen seien.

Als einzigen Tatzeugen zu diesem Vorfall hat die Staatsanwaltschaft den Zeugen Grol benannt.

Dieser hat bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung bekundet, er habe nicht gesehen, daß bei diesem Vorfall auch der Rapportführer geschlagen habe.

Zu diesem Anklagepunkt ist weiter zu bemerken, daß sich kein anderer der zahlreichen Häftlinge, die dem Kraftwerkskommando angehört haben und als Zeugen im Rahmen dieses Verfahrens vernommen worden sind, an einen solchen Vorfall erinnert haben.

Auch insoweit war der Angeklagte Olejak daher entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft freizusprechen.

VI. Fälle I 6, I 7, I 8 der Anklage (Erschießung von insgesamt 26 Häftlingen während des Evakuierungsmarsches von Jaworzno nach Blechhammer in Januar 1945):

In Fall I 6 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, auf der genannten Strecke des Evakuierungsmarsches eine nicht wehr feststellbare Zahl von Häftlingen, mindestens aber 20 Häftlinge, die während des Marsches zusammengebrochen seien und vor Erschöpfung nicht oder nicht mehr schnell genug hatten weitergehen können, erschossen zu haben.

225

Von diesen 20 Fällen sind in der Anklageschrift 3 näher konkretisiert worden.

Am zweiten Tag des Marsches soll der Angeklagte Olejak den damals etwa 30 Jahre alten Juden Mordechaj Jakubtschak und am gleichen Tag einen jüdischen Häftling, der vor seiner Überstellung in das Konzentrationslager Auschwitz in dem Arbeitslager Posen - Stadion Lagerältester gewesen sei, erschossen haben.

Am gleichen Tag soll der Angeklagte einen unbekannten Häftling, der vor Erschöpfung aus der Reihe herausgefallen gewesen sei, ebenfalls erschossen haben.

Als direkte Tatzeugen für die 3 konkret genannten Fälle einer Häftlingserschießung hat die Staatsanwaltschaft die Zeugen Leib Jakubtschak, Gerschon Sieradzki und Menachem Pruszanowski benannt.

In ihrem Schlussvortrag hielt die Staatsanwaltschaft den Angeklagten Olejak im Fall I 6 der Anklage noch hinsichtlich dreier Fälle für überführt, wobei sie sich in erster Linie auf die Aussagen der Zeugen Gerschon Sieradzki und Joel Ryz stützte. Hinsichtlich der übrigen 17 angeklagten Verbrechen des Mordes hat die Staatsanwaltschaft Freispruch beantragt.

Im Fall I 7 lag dem Angeklagten zur Last, einige Zeit nach Verlassen des Lagers zusammen mit zwei oder drei weiteren SS. Leuten 5 Häftlinge erschossen zu haben, die bei einer Rastpause auf einen zufällig vorbeikommenden Militär - LKW gesprungen seien.

Als einzigen direkten Tatzeugen hat die Staatsanwaltschaft hierfür den Zeugen Lemel Orenbach benannt.

Auch in ihrem Schlußvortrag hat die Staatsanwaltschaft, gestützt auf die Aussage des vor dem Amtsgericht in Tel Aviv vernommenen Zeugen Orenbach, die Verurteilung des Angeklagten wegen 5 in Mittäterschaft begangener Verbrechen des Mordes beantragt.

Im Fall I 8 der Anklage schließlich lag dem Angeklagten Olejak zu Last, während einer Rast in Peiskretscham einen Häftling, der versucht habe, eine zweite Portion Suppe zu bekommen, auf die Tenne einer Scheune geführt und dort von hinten erschossen zu haben.

Als Tatzeuge hierfür war in der Anklageschrift der Zeuge Meir Shimoni benannt worden.

In diesem Punkt der Anklage hat die Staatsanwaltschaft ohne Angabe von Gründen in ihrem Schlußvortrag Freispruch für den Angeklagten Olejak beantragt.

Da die Kammer aufgrund des gesamten Ergebnisses der Hauptverhandlung davon ausgeht, daß der Angeklagte Olejak den Evakuierungsmarsch der Häftlinge des Lagers Jaworzno nicht mitgemacht hat, scheidet er schon aus diesem Grund als Täter für die, wie ausgeführt, sehr zahlreich vorgekommenen Häftlingserschießungen aus. Trotzdem soll zu den Aussagen einiger Zeugen, die den Angeklagten Olejak insoweit belastet haben, kurz Stellung genommen werden.

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1. Der schon mehrfach erwähnte Zeugen Arie Leib Jakubtschak, ein Bruder des angeblich von dem Angeklagten Olejak erschossenen Häftlings Mordechaj Jakubtschak, hat bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung ausgesagt, er sei beim Evakuierungsmarsch zusammen mit seinen beiden Brüdern gelaufen. Sie hätten sich alle drei aneinander festgehalten, da sie ja hätten überleben wollen. Einer seiner Brüder sei dabei erschossen worden. Dies sei kurz vor Beuthen in einem Wald gewesen. Welcher SS. Mann auf seinen Bruder geschossen habe, wisse er nicht, es sei ja so ein großes Durcheinander gewesen.

Auch nach Vorhalt seiner Aussage vom 2.5.1975 (15, 46 ff.) und vom 5.3.1972 (6, 129) erklärte der Zeuge Jakubtschak, er erinnere sich nicht daran, wer seinen Bruder erschossen habe.

In der Vernehmung vom 2.5.1975 hatte der Zeuge Jakubtschak bei Vorlage des Bildbandes erklärt, der auf den Lichtbildern Nr. 17, 18 und 19 abgebildete SS. Mann (Angeklagter Olejak) habe auf dem Evakuierungsmarsch seinen Bruder erschossen. Dieser SS. Mann sei in Jaworzno Kommandoführer gewesen und habe auch sein Arbeitskommando zur Arbeit in die Kohlengrube gebracht. Dieser SS. Mann, der am Anfang der Lagerzeit noch nicht in Jaworzno gewesen sei, sei nicht Rapportführer gewesen.

In seiner Vernehmung vom 5.4.1972 hatte der Zeuge Jakubtschak ausgesagt, sein Bruder sei beim Evakuierungsmarsch von dem Rapportführer des Lagers Jaworzno erschossen worden. Dieser Rapportführer sei damals 40 bis 44 Jahre alt und sehr korpulent gewesen. Er habe ihn oft im Lager bei der Entgegennahme der Rapporte gesehen.

Diese drei verschiedenen Aussagen des Zeugen Jakubtschak zu der Frage, wer seinen eigenen Bruder erschossen hat, beweisen, wie schwer es selbst in einem Fall, in dem das Opfer ein ganz war naher Verwandter war, für einen Menschen ist, sich nach langer Zeit noch sicher und zuverlässig zu erinnern. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß die Beschreibung, die der Zeuge 1972 von dem Täter gegeben hat, auf den Angeklagten Olejak (damals 24 Jahre alt und 64 kg schwer), nicht zutrifft. Auch bei diesem Zeugen fällt im Übrigen auf, daß er, ebenso wie die Zeugen Ryz und Mittelman, den Rapportführer bei der ersten Vernehmung so beschrieben hat, daß damit nicht der Angeklagte Olejak, sondern nur der SS-Unterscharführer Otto Hablesreiter gemeint gewesen sein kann. Bei seiner 2. Vernehmung im Jahre 1975 hat der Zeuge Jakubtschak im Übrigen noch erklärt, derjenige SS.Mann, der seinen Bruder erschossen habe, sei nicht Rapportführer in Jaworzno gewesen.

2. Zur Aussage des Zeugen Joel Ryz in der Hauptverhandlung und zu den Widersprüchen zu seiner früheren Aussage aus dem Jahre 1970 wurde bereits unter G III 2 (Seite 312 - 315) Stellung genommen.

Zu der Frage der Erschießung von Häftlingen auf dem Evakuierungsmarsch hat der Zeuge bekundet, er habe den Rapportführer Olejak nur während der letzten Nacht des Evakuierungsmarsches vor Erreichen des Lagers Blechhammer gesehen.

227

Während dieser Nacht, während der die Häftlinge durch einen Wald getrieben worden seien, habe er ihn allerdings fast dauernd gesehen. Er selbst habe von dem Rucksack eines SS. Mannes namens Becker, den er schon von Lagischa her gekannt habe, getragen und sei auch einige Stunden neben diesem hergelaufen.

Olejak sei etwa 30 Meter hinter ihm gelaufen und habe praktisch die ganze Nacht durch auf schwache Häftlinge geschossen. Da Schnee gelegen habe und es hell genug gewesen sei, habe er Olejak an dessen Gestalt erkennen können. Olejak habe eine „extra“ Gestalt gehabt, er sei breit und dick gewesen. In Jaworzno habe es keinen anderen SS. Mann gegeben, der so ausgesehen habe. Er habe damals auch die Augen des Rapportführers Olejak gesehen und in ihnen „Mörderei“ erkennen können. Deshalb habe er Olejak auch an seinen Augen in der Hauptverhandlung wiedererkannt. Olejak habe als einziger von den SS. Leuten, die er während dieser Nacht gesehen habe, eine besondere Waffe mit einem runden Magazin gehabt. Die anderen SS. Leute seien nur mit normalen Gewehren bewaffnet gewesen. Da er Olejak anlässlich seiner Besuche in der Lagerschreibstube in den ersten 4 Wochen nach seiner Ankunft in Jaworzno gekannt habe, habe er in dieser Nacht besonders auf ihn geachtet. Er glaube, daß Olejak in dieser Nacht mindestens 100 Häftlinge erschossen habe.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß der Zeuge Ryz den Angeklagten Olejak zu der Zeit und unter den Umständen, zu denen er ihn in Jaworzno kennengelernt haben will, nicht gesehen haben kann, da Olejak zu dieser Zeit im Lager Blechhammer war. In diesem Zusammenhang ist ergänzend zu den unter G III 2 gemachten Ausführungen darauf hinzuweisen, daß der Zeuge Ryz auch bekundet hat, er könne sich nicht daran erinnern, den Rapportführer Olejak außer in den ersten 4 Wochen nach seiner eigenen Ankunft in Jaworzno dort gesehen zu haben.

Soweit der Zeuge Ryz davon spricht, er habe Olejak in dieser Nacht vor Erreichen des Lagers Blechhammer an seiner „extra“ Gestalt (breit und dick) erkannt, ist auszuführen, daß Olejak 1945 nicht breit und nicht dick war. Soweit der Zeuge damals die Augen des betreffenden SS. Mannes erkannt haben will, hält die Kammer eine solche Beobachtung unter den geschilderten Umständen nicht für möglich. Zum einen kann der Zeuge, da sich der betreffende SS. Mann immer hinter ihm aufgehalten hat, Beobachtungen irgendwelcher Art immer nur beim Rückwärtsschauen gemacht haben, während er gleichzeitig selbst weiter vorwärts gelaufen ist. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß in einem solchen Fall schon bei normalen Umständen die Beobachtungsmöglichkeiten eines Menschen sehr eingeschränkt sind. Zum anderen war damals Nacht, und zwar schon die vierte Nacht nach dem Verlassen des Lagers Jaworzno. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß die körperliche und geistige Verfassung des damals 16 Jahre alten Zeugen, der zudem noch einen Rucksack eines SS. Mannes tragen mußte, nicht mehr die beste war. Des weiteren kommt hinzu, daß der Zeuge den betreffenden SS. Mann aus einer Entfernung von etwa 30 Metern beim Durchqueren eines Waldes erkannt haben will. Zwar kann und muß diese Entfernungsangabe des Zeugen unter den gegeben Umständen nicht wörtlich genommen werden. Aus dieser Angabe, die er mehrere Male wiederholt hat, ergibt sich aber, daß er sich jedenfalls nicht in unmittelbarer Nähe des betreffenden SS. Mannes aufgehalten hat. Was die Angabe des Zeugen Ryz betrifft, es sei eine helle Nacht gewesen, so ist darauf hinzuweisen, daß in dieser Nacht (vom 20. auf 21.1.1945), falls der Mond überhaupt geschienen hat, kein Vollmond herrschte, sondern der Mond am 20.1.1945 gerade das erste Viertel erreicht hatte. Da der Zeuge seine Beobachtungen beim Durchqueren eines Waldes gemacht hat, scheiden künstliche Lichtquellen aus.

Unter diesen gesamten geschilderten Umständen hat die Kammer erhebliche Zweifel daran, ob der Zeuge Ryz den betreffenden SS. Mann überhaupt hat sicher erkennen können. Darauf kommt es letztlich jedoch nicht an, da die Kammer davon ausgeht, daß der Angeklagte Olejak zu diesem Zeitpunkt nicht bei der Häftlingskolonne gewesen ist.

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3. Zu dem Anklagepunkt I 7 und zu der Aussage des Zeugen Lemel Orenbach ist zusätzlich zu den bereits gemachten Ausführungen folgendes zu bemerken:

Dieser Zeuge schildert als einziger aller im Laufe des Verfahrens vernommenen Zeugen, die bei dem Evakuierungsmarsch von Jaworzno nach Blechhammer dabei waren, einen Vorfall, bei dem 5 Häftlinge erschossen worden sein sollen.

Hierzu hat der Zeuge bei seiner sich über mehrere Tage hinziehenden Vernehmung vor dem Amtsgericht in Tel Aviv bekundet, in der 2. Nacht nach dem Verlassen des Lagers Jaworzno sei bei Beuthen mitten auf der Straße eine Rast eingelegt worden. Zwischen 2.00 und 3.00 Uhr morgens seien an der noch ruhenden Häftlingskolonne 2 Militärfahrzeuge langsam vorbeigefahren. Dabei habe es sich um LKW gehandelt, deren Ladeflächen mit einem Aufbau und einer Leinwand verschlossen gewesen seien. Da die Fahrzeuge langsam gefahren seien, seien einige Häftlinge von hinten auf die Ladefläche des 2. Fahrzeuges aufgesprungen. Dies sei von SS. Leuten bemerkt worden, die den LKW angehalten hätten und ihrerseits auf die Ladefläche gesprungen seien. Es seien sogleich mehrere Schüsse gefallen und die betreffenden SS. Leute seien dann vom Fahrzeug heruntergesprungen, wobei sie Pistolen in ihren Händen gehalten hatten. Beim Herunterspringen habe er Olejak und Pansegrau an ihren Gesichtern erkannt. Dazu sei er in der Lage gewesen, da helles Mondlicht geherrscht und er von dem LKW nicht weit entfernt gewesen sei. Die anderen SS. Leute seien keine Blockführer, sondern von der Wachmannschaft und ihm namentlich nicht bekannt gewesen.

Von Mithäftlingen sei dann die rückwärtige Bordwand geöffnet worden und er habe gesehen, wie die Leichen von 5 Häftlingen aus dem Fahrzeug geholt worden seien. Die Leichen dieser Häftlinge seien dann zusammen mit ca. 500 schon entkräfteten Häftlingen zu einer in der Nähe gelegenen Ziegelei gebracht worden, wobei er selbst mit einem Mithäftling die Leiche eines der 5 erschossenen Häftlinge getragen habe. Von der Ziegelei aus sei er dann nicht mehr zu der Kolonne aus dem Lager Jaworzno zurückgekehrt. Auf Vorhalt seiner Aussage vom 25.4.1975 vor der Israel-Polizei, in der er ausgesagt hatte, neben dem Rapportführer Olejak sei nicht der SS. Mann Mietliczka, sondern der Kommandoführer Lausmann dabei gewesen, fragte der Zeuge Orenbach zunächst:

„Damals habe ich Lausmann gesagt?“

Dann sagte der Zeuge weiter aus, er habe sich bei dieser Vernehmung bei der Polizei an den Namen Pansegrau nicht erinnert. Darauf führe er es zurück, daß er ihn damals nicht als einen der Täter genannt habe. Er habe damals nur von Mietliczka gesprochen. Daß es sich dabei um einen Spitznamen des Angeklagten Pansegrau gehandelt habe, sei ihm damals nicht eingefallen. Lausmann sei seiner jetzigen Erinnerung nach unter den weiteren SS. Leuten gewesen, die auf den LKW gesprungen seien. Lausmann sei kein Blockführer gewesen, sondern er habe die Arbeitskommandos zu ihren Arbeitsstellen begleitet.

Warum er bei der Vernehmung vor der Israel-Polizei den SS. Mann Mietliczka, von dem er damals ausführlich gesprochen hatte und den er jetzt als mit dem Angeklagten Pansegrau identisch erklärte, nicht als einen der SS. Leute auf dem LKW genannt hatte, konnte der Zeuge nicht erklären.

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Zu dieser Aussage des Zeuge Orenbach ist zunächst zu bemerken, daß, wie bereits erwähnt, in der 2. Nacht des Evakuierungsmarsches tatsächlich in den Straßen von Beuthen eine Ruhepause eingelegt worden ist. Allerdings erscheint es seltsam, daß sich von den weit über 100 anderen Zeugen, die im Rahmen des Verfahrens vernommen wurden und die den Evakuierungsmarsch ebenfalls mitgemacht haben, keiner an den von dem Zeugen Orenbach geschilderten Vorfall erinnert hat, obwohl sich dieser Vorfall nach der Aussage des Zeugen Orenbach mitten in der Häftlingskolonne und während einer Ruhepause zugetragen haben soll. Unter diesen Umständen erscheint nicht ausgeschlossen, daß der Zeuge Orenbach diesen oder einen ähnlichen Vorfall zwar erlebt und beobachtet hat, daß sich dieser Vorfall aber erst ereignet hat, als der Zeuge Orenbach in Beuthen die Häftlingskolonne aus dem Lager Jaworzno bereits verlassen hatte.

Im Übrigen erscheinen die Angaben des Zeugen zu den beteiligten SS. Leuten der Kammer nicht so zuverlässig und sicher zu sein, um hierauf eine Verurteilung stützen zu können, selbst wenn der Angeklagte Olejak am Evakuierungsmarsch teilgenommen hätte. Der Zeuge hat zwar sowohl bei der Polizei als auch beim Amtsgericht in Tel Aviv den Angeklagten Olejak als einen der SS. Leute bezeichnet, die auf das Fahrzeug gesprungen seien. Hinsichtlich der übrigen Beteiligten hat er aber, wie bereits ausgeführt, sehr unterschiedliche Angaben gemacht.

Bei seiner Vernehmung vor der Polizei hat er neben Olejak noch den SS. Mann Lausmann genannt, den er zuvor als Kommandoführer bezeichnet hatte. Bei seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht in Tel Aviv meinte er dann, von den beteiligten SS. Leuten habe er nur zwei namentlich gekannt, die anderen seien von der Wachmannschaft gewesen. Neben Olejak nannte er nunmehr den Angeklagten Pansegrau, der bei den Häftlingen den Spitznamen Mietliczka oder Besen gehabt habe. Nach Vorhalt seiner früheren Aussage meinte er dann, Lausmann sei einer der anderen gewesen.

Dabei ist darauf hinzuweisen, daß der Zeuge Orenbach nur kurze Zeit vorher erklärt hatte, die neben Olejak und Pansegrau beteiligten SS. Leute seien ihm namentlich nicht bekannt gewesen. Warum er den Angeklagten Pansegrau oder den SS. Mann mit dem Spitznamen Mietliczka bei seiner polizeilichen Vernehmung nicht in diesem Zusammenhang genannt hatte, konnte der Zeuge überhaupt nicht erklären. Diese Widersprüche beweisen nach Meinung der Kammer, daß sich der Zeuge Orenbach hinsichtlich der beteiligten SS. Leute insgesamt nicht sicher war und ist.

Soweit der Zeuge angegeben hat, er habe die Gesichter der beteiligten SS. Leute aus einiger Entfernung erkennen können, weil helles Mondlicht geherrscht habe, so ist dies, wie schon erörtert, nicht richtig.

Schließlich erscheint es der Kammer sehr unwahrscheinlich und kaum möglich, daß sich dieser Vorfall, den der Zeuge Orenbach beobachtet haben will, in der von ihm geschilderten Weise abgespielt haben kann. Denn unter den von dem Zeugen geschilderten Umständen ist davon auszugehen, daß es sich um nicht zu der Häftlingskolonne gehörende Militärfahrzeuge gehandelt hat. Den angeblich beteiligten SS. Leuten war daher nicht bekannt, ob diese Fahrzeuge nicht zum Beispiel Munition, Treibstoff geladen hatten oder sich Soldaten auf der verdeckten Ladefläche aufhielten.

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Weiter ist davon auszugehen, daß es auf der von einer Plane überspannten Ladeflache des Fahrzeuges, da es sich um das zweite gehandelt hat, völlig dunkel gewesen ist. Es ist kaum vorstellbar, daß unter diesen Umständen SS. Leute auf das Fahrzeug springen und sofort zu schießen beginnen. Selbst wenn sich dieser Vorfall aber so abgespielt hatte wie ihn der Zeuge Orenbach geschildert hat und selbst wenn der Angeklagte Olejak dabei gewesen wäre, könnte in diesem Fall dennoch keine Verurteilung wegen eines oder gar fünf Verbrechen des Mordes erfolgen. Denn was sich tatsächlich auf dem LKW abgespielt hat, ob zum Beispiel einer der SS. Leute oder alle geschossen haben, konnte der Zeuge Orenbach nicht angeben. Unter diesen Umständen konnte zugunsten des Angeklagten Olejak nicht ausgeschlossen werden, daß einer oder mehrere der anderen SS. Leute von sich aus auf die Häftlinge geschossen haben, ohne daß die anderen dies gewollt oder gebilligt haben. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß alle diese SS. Leute nur deswegen auf die Ladefläche des LKW gesprungen sind, um die dort befindlichen Häftlinge allein oder gemeinsam zu erschießen. Es könnte einigen von ihnen auch lediglich darum gegangen sein, die Flüchtigen zurückzuholen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Annahme der Staatsanwaltschaft, bei den anderen SS. Leuten habe es sich um Untergebene des Angeklagten Olejak gehandelt, weder aufgrund der Aussage des Zeugen Orenbach noch aufgrund des übrigen Ergebnisses der Hauptverhandlung beweisbar ist. Daß zum Beispiel der Rapportführer des Lagers Jaworzno gegenüber Angehörigen der Wachmannschaft auf dem Evakuierungsmarsch in irgendeiner Form weisungsberechtigt war oder eine Befehlsgewalt ausüben konnte, konnte nicht festgestellt werden.

Der Angeklagte Olejak war daher insgesamt von den ihm in der Anklage und im Eröffnungsbeschluss zur Last gelegten 32 Verbrechen des Mordes freizusprechen.

I) Die dem Angeklagten Pansegrau zur Last liegenden Straftaten, soweit sie das Lager Jaworzno betreffen:

Dem Angeklagten Pansegrau lagen, wie bereits erwähnt, in der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluß insgesamt 22 Verbrechen des Mordes zur Last, von denen er 11 im Lager Jaworzno (Anklagepunkte II 1 - 8) selbst und 11 während des Evakuierungsmarsches von Jaworzno nach Blechhammer (Anklagepunkte II 9 und 10), teils allein, teils als Mittäter mit anderen SS. Leuten begangen haben soll.

Nach Durchführung der Beweisaufnahme hielt die Staatsanwaltschaft den Angeklagte Pansegrau noch hinsichtlich zweier Fälle im Lager und weiterer 10 Fälle während der Evakuierung für überführt. In den übrigen Fällen hat die Staatsanwaltschaft selbst ohne nähere Begründung Freispruch beantragt.

Der Angeklagte Pansegrau hat von Anfang an bestritten, während des Krieges einen Häftling getötet zu haben. Er habe nie einen Häftling erschossen oder schwer geschlagen. Im Sommer 1944 könne er schon deswegen keinen Häftling im Lager getötet haben, da er von Ostern 1944 bis Ende September 1944 nicht in Jaworzno gewesen sei, sondern im Lager Auschwitz eine Arreststrafe verbüßt habe.

I. Zur Person des Angeklagten Pansegrau und seiner Stellung im Lager Jaworzno ist aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung zunächst folgendes zu bemerken:

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1. Der Angeklagte Pansegrau gehörte von Juni 1943 an bis zur Evakuierung am 17.1.1945 der Kommandantur des Lagers Jaworzno an und übte die Funktion eines Block- und Kommandoführers aus. Dies ergibt sich sowohl aus der Einlassung des Angeklagten selbst als auch aus den Bekundungen fast aller Zeugen, die sich an den Angeklagten erinnert haben.

2. Obwohl sich fast keiner der im Rahmen dieses Verfahrens vernommenen Zeugen, die als Häftlinge im Lager Jaworzno waren, an eine längere Abwesenheit des Angeklagten Pansegrau vom Lager Jaworzno erinnert hat - nur der Zeuge Salz zum Beispiel spricht davon, er habe Pansegrau 1944 längere Zeit nicht in Jaworzno gesehen - , geht die Kammer aufgrund der Einlassung des Angeklagten und der Aussage des Zeugen Albert Zitzmann und der Zeugin Irmgard Pansegrau davon aus, daß sich der Angeklagte Pansegrau von Ostern 1944 an für mehrere Monate nicht in Jaworzno aufgehalten hat.

Der Angeklagte Pansegrau hat hierzu, wie bereits erwähnt, erklärt, an Ostern 1944 habe er mit dem damaligen Spieß der Wachkompanie namens Zitzmann eine Auseinandersetzung gehabt, da Zitzmann bei seiner Ehefrau Annäherungsversuche gemacht habe. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung habe er seine Pistole gezogen. Aus dieser habe sich unbeabsichtigt ein Schuß gelöst, der Zitzmann in das Knie getroffen habe. Am nächsten Tag sei er verhaftet und nach Auschwitz gebracht worden. Dort sei gegen ihn wegen dieses Vorfalls eine Arreststrafe verhängt worden, die er auch verbüßt habe.

Zur Dauer seiner Abwesenheit von Jaworzno hatte der Angeklagte zunächst angegeben, er sei im Sommer 1944 nach Jaworzno zurückgekehrt. Am 20.9.1979 erklärte er dann in der Hauptverhandlung, er sei bis Ende September 1944 im Hauptlager Auschwitz geblieben (vgl. Bl. 76).

Die Kammer geht aufgrund der Aussagen des Zeugen Albert Zitzmann und der Zeugin Irmgard Pansegrau davon aus, daß die Einlassung des Angeklagten Pansegrau über den Grund und den Ablauf der Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen Zitzmann im Wesentlichen richtig ist (vgl. Bl. 112). Im Übrigen kommt dieser Auseinandersetzung zwischen dem Zeugen Zitzmann und dem Angeklagten Pansegrau für die Entscheidung der Kammer keinerlei Bedeutung zu.

Aufgrund der Aussage der Zeugin Irmgard Pansegrau sieht die Kammer die Einlassung des Angeklagten, er sei am nächsten Tag verhaftet und nach Auschwitz gebracht worden, als richtig an. Frau Pansegrau hat hierzu bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung ausgesagt, ihr Mann sei am Tag nach dem Vorfall mit Zitzmann verhaftet und nach Auschwitz gebracht worden.

Was die Dauer der Abwesenheit des Angeklagten Pansegrau von Jaworzno betrifft, hat Frau Pansegrau als Zeugin bekundet, ihr Mann sei Ende Juli 1944 aus Auschwitz zurückgekommen und habe von da an seinen Dienst wieder im Lager Jaworzno ausgeübt.

232

Da die Kammer, was noch darzulegen sein wird, den Angeklagten Pansegrau in den in dem fraglichen Zeitraum im Sommer 1944 bzw. Herbst 1944 angeklagten Einzelfällen schon aus anderen Gründen nicht für überführt ansieht, hat sie davon abgesehen, die Zeugin Pansegrau nochmals vorzuladen und ihr die geänderte Einlassung ihres Mannes über die Dauer seines Aufenthaltes in Auschwitz vorzuhalten. Aus dem gleichen Grund brauchte auch nicht dem von Rechtsanwalt Fischer als Verteidiger des Angeklagten Pansegrau gestellten Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Zeugin Emma Hadamczyk entsprochen zu werden. Frau Hadamczyk ist hilfsweise als Zeugin dafür benannt worden, daß sich der Angeklagte Pansegrau von Ostern 1944 bis September 1944 nicht im Lager Jaworzno aufgehalten hat.

3. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, daß der Angeklagte Pansegrau bei den im Lager Jaworzno inhaftierten Häftlingen den Spitznamen „Besen“ hatte, für den, je nachdem welcher Sprachgruppe die Häftlinge angehörten, auch die Bezeichnungen „Mietliczka“, „Mietla“ oder „Miotelka“ verwendet worden sind.

Dies haben unter anderem die Zeugen Sicinski, Pasikowski, Bulaty, Kafka, Glapinski, Fried, Orenbach, Dr. Braun, Lopaczewski und Usielski bestätigt.

Diese Zeugen haben auch bekundet, daß entgegen der Einlassung des Angeklagten Pansegrau der Namen Besen oder Mietliczka nicht für den Blockführer Paul Kraus verwendet worden ist, sondern daß dieser wegen einer Verletzung an der Hand „Lapka“ genannt wurde (vgl. Bl. 109).

Allerdings geht die Kammer nicht davon aus, daß alle Zeugen, die in ihrer Vernehmung von dem SS. Mann Mietliczka gesprochen haben, deshalb zwangsläufig den Angeklagten Pansegrau meinen. Darauf wird bei der Würdigung der einzelnen Zeugenaussagen, soweit erforderlich, noch näher eingegangen werden.

4. Dagegen sieht es die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht als erwiesen an, daß der Angeklagte Pansegrau im Lager Jaworzno ständig oder auch nur oft einen Schäferhund oder einen anderen Hund mit sich geführt hat.

Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, von den Kommandantur Angehörigen habe nur Paul Kraus einen Hund gehabt, und zwar einen Schäferhund. Diesen habe er in das Lager mitgenommen und auch auf Häftlinge gehetzt. Er habe aber selbst nie gesehen, daß der Hund dabei einen Häftling gebissen habe. Kraus habe seinen Hund immer noch rechtzeitig zurückgepfiffen. Er selbst habe im Lager Jaworzno nie einen Hund gehabt, auch nicht den von Kraus.

Die Kammer sieht diese Einlassung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht als widerlegt an.

Zunächst ist hier darauf hinzuweisen, daß praktisch alle Zeugen, die sich an den SS. Mann Paul Kraus, von den Häftlingen „Lapka“ genannt, erinnert haben, bekundet haben, dieser SS. Mann habe im Lager Jaworzno einen Schäferhund gehabt. Die Kammer geht deshalb davon aus, daß Kraus in Jaworzno tatsachlich einen solchen Hund hatte.

233

Die Zeugen Zejer, Dr. Heller, Pasikowski und Smigielski haben übereinstimmend bekundet, von den Angehörigen der Lagerkommandantur hätten nur der Lagerführer Pfütze und der Blockführer Kraus einen Hund gehabt. Der Zeuge Smigielski, der wie bereits ausgeführt, als Kapo der Bekleidungskammer ständig im Lager selbst war, hat weiter ausgesagt, nur Kraus sei immer mit seinem Hund in das Lager gekommen. Der Hund des Lagerführers Pfütze sei dagegen nur sehr selten im Lager zu sehen gewesen.

Auch die Zeugen Jakubtschak, Mosche Jachimowicz, Orenbach, Swift und Weltfreid haben ausgesagt, von den im Lager selbst tätigen SS. Leuten habe nur der Blockführer Kraus einen Hund gehabt. Die Zeugen Mosche Jachimowicz, Orenbach, Usielski und Weltfreid haben darüberhinaus ausdrücklich erklärt, der Angeklagte Pansegrau habe in Jaworzno niemals selbst einen Hund gehabt.

Der Zeuge Zitzmann, bis zu seiner Auseinandersetzung mit dem Angeklagten Pansegrau an Ostern 1944 Spieß der Wachkompanie in Jaworzno, hat bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung bekundet, in Jaworzno habe es keine Diensthunde gegeben. Außer ihm selbst - er habe einen Schäferhund gehabt - habe nur noch ein Angehöriger der Lagerkommandantur einen Hund gehabt. Er sei sich ganz sicher, daß Pansegrau keinen Hund gehabt habe. Für seinen eigenen Hund habe es in der Nähe der SS. Baracken einen Zwinger gegeben. Wo der andere SS. Mann seinen Hund untergebracht habe, wisse er nicht mehr.

Auch die Ehefrau des Angeklagten Pansegrau, die Zeugin Irmgard Pansegrau, hat ausgesagt Paul Kraus, den sie als Kollege ihres Mannes 1943 in Jaworzno kennengelernt habe, habe immer einen Schäferhund mit sich geführt. Auch Zitzmann habe in Jaworzno einen Hund gehabt. Ihr Mann selbst hat während seines Aufenthaltes in Jaworzno keinen eigenen Hund gehabt.

Unter Berücksichtigung der Aussagen dieser Zeugen, insbesondere der über das Lager und die dort eingesetzten SS. Leute gut informierten Funktionshäftlinge wie Zejer, Dr. Heller, Pasikowski und Smigielski, hält die Kammer die Aussagen der Zeugen, die den Angeklagten Pansegrau oder den SS. Mann mit dem Spitznamen Besen oder Mietliczka im Lager immer mit einem Hund gesehen haben wollen, nicht für zuverlässig. Im Einzelnen handelt es sich hierbei insbesondere um die Zeugen Charlupski, Frenkel, Fried, Krawicki, Lerer, Leszczinsky, Schuler, Schwarz, Kowalczyk, Zimmermann und Josef Sieradzki. Die Zeugen Krawicki und Josef Sieradzki zum Beispiel haben bekundet, nur Mietliczka habe von den Angehörigen der Lagerkommandantur in Jaworzno einen Hund gehabt. Diese Aussagen sind, wie bereits dargelegt, insoweit nicht richtig.

II. Anklagepunkt II 1 (Erschießung eines Häftlings auf dem Rückweg von der Baustelle in das Lager):

1. In diesem Fall der Anklage liegt dem Angeklagten Pansegrau zur Last, an einem nicht mehr feststellbaren Tag im Sommer 1944 einen Häftling des Kommandos Kraftwerk Wilhelm auf dem Rückweg von der Arbeitsstelle in das Lager erschossen zu haben.

234

Als direkte Tatzeugen hat die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift die Zeugen
Szabtei Leszczinsky,
Benjamin Jachimowicz,
Mosche Jachimowicz,
Josef Sieradzki und
Aron Pernat
benannt.

Als möglichen Tatzeugen hat die Staatsanwaltschaft den Zeugen David Preisler aufgeführt. In diesem Punkt der Anklage hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlußvortrag die Verurteilung des Angeklagten Pansegrau beantragt.

2.1. Bei dem am Bau des Kraftwerkes Wilhelm eingesetzten Häftlingskommando handelte es sich bei einer Größe von zeitweise 1.700 bis 2.000 Häftlingen Um das größte Außenkommando des Lagers Jaworzno (vgl. Seite 19 und 105).

2.2. Im Gegensatz zum eigentlichen Lagerbereich geht die Kammer aufgrund des gesamten Ergebnisses der Hauptverhandlung davon aus, daß es bei den Außenkommandos, insbesondere auf dem Weg zwischen Lager und Arbeitsstelle bzw. beim Rückweg zu Erschießungen von Häftlingen durch die sie begleitenden SS. Wachmannschaften gekommen ist. Hier sei nur auf das bereits mehrfach erwähnte Buch „Rückkehr unerwünscht“ von Dr. Novy aus dem Jahre 1949 verwiesen, in dem es dazu heißt:

...Die Posten im Kraftwerk, bewaffnete SS. Wachen, das ist ein Kapitel für sich. Sie beschießen die Häftlinge nur so aus Spaß, der erste „auf der Flucht Erschossene“ ist der deutsche Jude Emil Klein, getötet am 2. Tag nach Beginn der Arbeit am Bau des Elektrizitätswerkes. Und dann ging es wie am laufenden Band. Kein Tag verging, an dem nicht vom Kraftwerk zum abendlichen „Appell“ tote Märtyrer gebracht worden wären, getötet entweder von den Kapos wegen schlechter Arbeitsleistung oder von den nazistischen Mördern in Wehrmachtsuniform aus Laune erschossen.“....

Daß es zu solchen Erschießungen gekommen ist, ergibt sich auch aus dem Standortbefehl Nr. 45/43 vom 8.10.1943 des Konzentrationslagers Auschwitz.

Ziffer 1 dieses Standortbefehls hat folgenden Wortlaut:

1. Belobigung.

Dem SS-Rottenführer Wilhelm R e i c h e l , 5./SS­T­Stuba.K.L.Au. gelang es, von 3 gemeinsam flüchtenden Häftlingen 2 auf der Flucht zu erschießen. Dieser Fluchtversuch fand unter günstigsten Fluchtbedingungen am 21.9.43, 22.00 Uhr beim Außenkommando Neu-Dachs statt und Reichel hat sich hierbei umsichtig und geistesgegenwärtig gezeigt. Ich spreche ihm meine Anerkennung aus. ....

235

Bei dem Außenkommando Neu-Dachs handelt es sich, wie sich auch aus anderen Dokumenten und Zeugenaussagen ergibt, um das Lager Jaworzno.

3.1. Zu der Aussage des Zeugen Benjamin Jachimowicz vor dem Amtsgericht in Tel Aviv wurde bereits auf Seite 277 Stellung genommen und darauf hingewiesen, daß ihm die Kammer wegen der zahlreichen Widersprüche in seiner polizeilichen Vernehmung vom 20.4.1976 und seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht in Tel Aviv nicht für zuverlässig und glaubwürdig hält.

Dieser Zeuge hatte bei seiner polizeilichen Vernehmung, die von dem Zeugen Edelsberg allein durchgeführt worden ist die und dem Zeugen im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht in Tel Aviv wiederholt vorgehalten wurde, unter anderem ausgesagt, er sei selbst Zeuge einer Erschießung durch den SS. Mann Panzergrau auf dem Rückweg von der Baustelle in das Lager gewesen. Nicht weit vom Lager entfernt habe einer der Häftlinge einen Schwächeanfall erlitten und zu hinken begonnen. Um die Marschkolonne nicht aufzuhalten, habe er diese verlassen und sei außerhalb der Kolonne weitermarschiert. Ganz plötzlich sei auf diesen Häftling Panzergrau zugesprungen, habe ihm von hinten einen Schlag versetzt und ihm befohlen, schneller zu laufen. Gleichzeitig habe er seine Pistole herausgezogen und aus unmittelbarer Nähe 2 Schüsse auf den Hinterkopf des betreffenden Häftlings abgegeben und ihn so an Ort und Stelle getötet. Er selbst sei von dem Tatort nur ungefähr 10 Meter entfernt gewesen.

In seiner Vernehmung vor dem Amtsgerichts in Tel Aviv erwähnte dieser Zeuge auf die Frage, ob er selbst gesehen habe, daß der SS. Mann Pansegrau im Lager Jaworzno einen Häftling getötet habe, diesen Vorfall nicht. Er erklärte vielmehr, er habe in Jaworzno nie gesehen, daß einer der Angeklagten einen Häftling erschossen habe. Er habe bzgl. des Angeklagten Pansegrau nur von einem solchen Fall einer Häftlingserschießung gehört. Auf dem Rückweg vom Kraftwerksgelände in das Lager habe ein Häftling versucht, zu flüchten. Einige SS. Leute, darunter auch Mietliczka hätten ihre Waffen angelegt und dem Häftling zugeschrien, zu halten. Dieser habe auch angehalten, sei in die Häftlingskolonne zurückgekehrt und dann in das Lager mitgegangen. Bei dieser Gelegenheit sei kein Schuß gefallen, auch kein Warnschuss. Er habe dann später gehört, der betreffende Häftling sei von Mietliczka noch am selben Tag erschossen worden.

Nach Vorhalt seiner polizeilichen Aussage erklärte der Zeuge dann, er bleibe dabei, daß er in diesem Fall die Erschießung des Häftlings nicht selbst gesehen habe.

3.2. Zur Aussage des Zeugen Aron Pernat wurde bereits auf Seite 278 Stellung genommen.

Der Zeuge Aron Pernat hat bei seiner polizeilichen Vernehmung, die ebenso wie bei dem Zeugen Benjamin Jachimowicz von dem Polizeibeamten Edelsberg ohne Teilnahme eines Staatsanwaltes durchgeführt worden ist, auf Befragen ausgesagt, er sei Augenzeuge gewesen, als Mietliczka im Sommer 1944 einen Häftling erschossen habe. Dieser Vorfall habe sich auf dem Rückweg vom Gelände des Kraftwerks in das Lager ereignet. Ein Häftling sei wegen eines Schwächeanfalls nach und nach zurückgeblieben, wodurch das Marschtempo der Kolonne immer langsamer geworden sei.

236

Der SS. Mann mit dem Spitznamen Mietliczka habe dies bemerkt und sei wie ein Tiger auf den Häftling zugesprungen und habe ihn geschlagen und aus der Marschkolonne herausgezogen. .Anschließend habe Mietliczka den Häftling brutal nach hinten geschubst und sei hinter dem Häftling hergelaufen. Schließlich habe er seine Pistole herausgeholt und von ganz naher Entfernung einen oder 2 Schüsse auf den Kopf dieses Häftlings abgegeben und ihn so an Ort und Stelle getötet. Zn Beginn seiner Vernehmung hatte er zu den Bildern, die den Angeklagten Pansegrau darstellen, erklärt, dies sei der Mietliczka.

An diesen Vorfall hat sich der Zeuge Pernat bei seiner Vernehmung durch den israelischen Richter zunächst nicht erinnert. Er schilderte vielmehr hinsichtlich des SS. Mannes Mietliczka einen Fall, bei dem dieser auf dem Gelände der Baustelle des Kraftwerkes einem Häftling die Mütze vom Kopf gerissen, diese außerhalb einer bestimmten Fläche, die der Häftling habe nicht verlassen dürfen, geworfen und dann den Häftling erschossen habe. Einen ähnlichen Fall schilderte der Zeuge auch hinsichtlich des von ihm erwähnten Rapportführers. Beide Fälle sind in dem Protokoll über die polizeiliche Vernehmung des Zeugen nicht enthalten. Erst nachdem dem Zeugen Pernat seine polizeiliche Aussage in diesem Punkt vorgehalten worden war, erklärte der Zeuge er erinnere sich jetzt an diesen Vorfall, der sich hinter ihm abgespielt habe.

3.3. Der Zeuge Josef Sieradzki wurde am 24.10.1977 in der Hauptverhandlung vernommen.

Dabei hat er ausgesagt, er sei etwa im Oktober 1943 nach Jaworzno gekommen und bis zur Evakuierung des Lagers dort geblieben. Während der ganzen Dauer seines Aufenthaltes in Jaworzno habe er beim Bau des Kraftwerkes gearbeitet.

Auf dem Rückweg von der Arbeitsstelle in das Lager habe er einmal gesehen, wie der SS. Mann, der ihm unter dem Namen Mietliczka bekannt gewesen sei, einen Häftling erschossen habe. Mietliczka sei damals blond, schlank und etwa 20 bis 21 Jahre alt gewesen. Er habe ihn im Lager immer mit einem Hund gesehen. Andere SS. Leute, insbesondere den ihm unter dem Namen Lapka bekannten Blockführer, habe er im Lager nicht mit einem Hund gesehen.

Der Vorfall der Erschießung des Häftlings habe sich etwa 2 Monate nach seiner Ankunft in Jaworzno, also Ende 1943 nach Arbeitsschluss auf dem Weg ins Lager ereignet.

Ein Häftling, der einige Reihen vor ihm gewesen sei, sei nach rechts ans der Kolonne herausgegangen. Mietliczka, der sich in der Nähe aufgehalten habe, habe ihm den Befehl erteilt, weiterzulaufen. Dann habe er seine Pistole gezogen und einen oder zwei Schüsse auf den Häftling abgegeben, der sofort zusammengebrochen sei. Die Kolonne habe nicht angehalten, sondern sei weitermarschiert. Der Häftling sei von hinten getroffen worden und er selbst habe später im Lager gehört, daß der Häftling verstorben sei. Zum Zeitpunkt des Vorfalls sei Mietliczka etwa 5 - 7 Meter von dem Häftling entfernt gewesen und der ganze Vorfall habe sich unmittelbar vor ihm selbst abgespielt.

3.4. Der Zeuge Mosche Jachimowicz hat bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung ausgesagt, er sei etwa im September 1943 nach Jaworzno gekommen, wo er bis zur Evakuierung dieses Lagers verblieben sei.

237

Etwa ein halbes Jahr lang, vielleicht bis Mal 1944, sei er beim Außenkommando am Kraftwerk gewesen. Anschließend sei er zur Arbeit in der Rudolfsgrube eingesetzt worden. Noch im Winter 1943 habe er beobachtet, wie beim Rückmarsch von der Baustelle des Kraftwerkes ein Häftling, der vor ihm gelaufen sei, nach rechts aus der Kolonne gegangen und zurückgeblieben sei. Der Angeklagte Pansegrau, der bei den Häftlingen den Spitznamen Mietliczka gehabt habe, habe den Häftling geschubst und angeschrieen. Nachdem er selbst den Häftling und den SS. Mann Pansegrau bereits passiert gehabt habe, habe er hinter sich einen Schuß gehört, worauf er sich umgedreht habe. Dabei habe er den SS. Mann Pansegrau mit einer Pistole in der Hand etwa eineinhalb bis einen Meter von dem Häftling entfernt gesehen. Der Häftling sei ganz mit Blut verschmiert gewesen und habe schon am Boden gelegen. Daran, ob auch andere SS. Leute, mit oder ohne Waffen in der Hand in der Nähe gewesen seien, könne er sich nicht mehr erinnern. Der getroffene Häftling sei von anderen Häftlingen mit einer Tragbahre in den Krankenbau des Lagers gebracht worden. Das habe er selbst gesehen, als er schon im Lager gewesen sei. Mehr könne er über das Schicksal des Häftlings, bei dem es sich um einen etwa 4o Jahre alten Juden gehandelt habe, nicht sagen.

3.5. Der Zeuge David Preisler kam, wie bereits erwähnt, im Juni 1944 als Häftling nach Jaworzno. Bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung hat er ausgesagt, er habe während seines Aufenthaltes in Jaworzno immer dem sogenannten Gleisbaukommando angehört. Dieses Kommando sei etwa mit 80 Häftlingen belegt gewesen. Auf dem Rückweg ins Lager habe er einmal im September oder Oktober 1944 gesehen, wie ein SS. Mann auf einen Häftling namens Pasternak geschossen habe. Er glaube, Täter in diesem Fall sei ein SS. Mann gewesen, der im Lager immer einen Hund gehabt und dem an einer Hand die Finger gefehlt hätten.

3.6. Da der Zeuge Szabtei Leszczinsky wegen seines schlechten Gesundheitszustandes weder in der Hauptverhandlung noch im Wege der Rechtshilfe vernommen werden konnte, wurde die Niederschrift über seine Aussage vor der Israel-Polizei vom 19.3.1976 (22, 165 ff) in der Hauptverhandlung verlesen.

Nach der in deutscher Sprache gefertigten Niederschrift hat der Zeuge Leszczinsky damals folgendes ausgesagt:

...“Besser kann ich mich erinnern an die Erschießung eines Häftlings auf dem Weg von der Baustelle zum Lager. Ich habe gesehen, wie Mietliczka einen Häftling, von dem man nachher gesagt hat, er sei ein Jude, aus der Reihe herausgenommen hat. Der Häftling ging etwa 20 - 36 Meter vor mir in der Kolonne und lahmte. Er hielt die Kolonne auf und kam nicht mehr mit. Ob der Häftling in der Mitte der Kolonne ging oder außen, kann ich nicht sagen. Ich habe aber gesehen, wie Mietliczka den Häftling mit der Hand herausgenommen hat und ihn gestoßen hat. Dann hat er mit einer Pistole auf ihn geschossen. Wohin er ihn getroffen hat, kann ich nicht sagen. Mietliczka war von dem Häftling nur wenige Meter entfernt. Der Häftling wurde erschossen, während er noch ging. Mietliczka hat ihn von hinten erschossen. Der Häftling gab kein Lebenszeichen mehr. Einige von uns mußten ihn in das Lager zurücktragen. ... Als Mietliczka auf den Häftling schoß, war es Spätnachmittag und hell. Es war ein Sommertag, vielleicht im Mai oder Juni 1944. ...“

Weiter hat der Zeuge Leszczinsky damals ausgesagt, er sei etwa im Herbst 1943 nach Jaworzno gekommen und habe zunächst 2 oder 3 Monate auf dem Außenkommando gearbeitet. Anschließend sei er in die Dachsgrube gekommen.
Nach einer Verletzung sei er längere Zeit im Krankenbau gelegen. Nach seiner Genesung sei er wieder dem Außenkommando zugeteilt und sei auch zu Arbeiten innerhalb des Blocks herangezogen worden.

238

Zuletzt sei er beim Aufbau der Richardgrube beschäftigt gewesen.

Auf die Frage nach SS. Leuten erklärte der Zeuge Leszczinsky unter anderem:

..."Von den SS. Leuten des Lagers Jaworzno erinnere ich mich an: Mietliczka. An ihn erinnere ich mich besonders gut, weil ich von ihm persönlich Schläge bekommen habe. Er war ein junger, schlanker, großer, blonder SS. Mann, damals 21 oder 22 Jahre alt. ...

Rapportführer, seinen Namen kenne ich nicht, mittelgroß, breit, schwarzhaarig, knapp 30 Jahre alt. Ich kann mich nicht erinnern, daß einmal ein anderer als dieser Mann Rapportführer in Jaworzno war. Ob er immer da war, kann ich nicht sagen. Ich erinnere mich hauptsächlich an ihn“....

Bei Vorlage des Bildbandes erklärte der Zeuge zu Bild Nr. 27, das den Angeklagten Pansegrau darstellt, diese Person sei der Mietliczka, da sei er sich sicher.

An die Namen der beiden Angeklagten hat sich der Zeuge nach dem Inhalt der Niederschrift nicht erinnert.

Weiter wurde gem. § 251 Abs. 2 StPO die Angaben verlesen, die der Zeuge Leszczinsky am 28.10.1960 im Rahmen seines Wiedergutmachungsverfahrens über seinen Aufenthalt im Lager Jaworzno gemacht hat (57, 5466 a, b).

In dieser Erklärung hat der Zeuge Leszczinsky ausgeführt, bis zu seiner Einlieferung in das Konzentrationslager Jaworzno sei er gesund gewesen. In diesem Lager habe er zunächst schwere Zwangsarbeit in den dortigen Kohlengruben verrichten müssen. Eines Tages habe er während der Zwangsarbeit in einer Kohlengrube einen Unfall erlitten, sodaß er In den Krankenbau gekommen sei. Nach etwa 4 Wochen sei er aus dem Krankenbau wieder entlassen worden. Danach sei er "nur" zum Stubendienst verwendet worden.

Schließlich wurde, da der Zeuge Edelsberg verstorben ist, auch der von Edelsberg gefertigte und unterschriebene Zwischenbericht Nr. 28 vom 31.5.1975 über eine informatorische Befragung des Zeugen Leszczinsky verlesen (21, 31 und 42). Nach dem Inhalt dieses Berichtes erklärte der Zeuge Leszczinsky damals, er sei von Sommer 1943 bis zur Liquidierung des Lagers in Jaworzno inhaftiert gewesen. Er sei die ganze Zeit in der Kohlengrube beschäftigt gewesen. Von den SS. Leuten sei ihm nur einer in Erinnerung geblieben, der damals den Spitznamen Mietliczka gehabt habe. Dieser habe einmal auf dem Rückweg von der Arbeit einen Häftling, der nicht schnell genug habe gehen können erschossen. Er selbst sei von Mietliczka auch geschlagen und von seinem Hund gebissen worden, sodaß er lange im Revier habe liegen müssen.

239

Diese Angaben wurden dem Zeugen Leszczinsky nach dem Inhalt der Niederschrift vom 19.3.1976 bei dieser Vernehmung nicht vorgehalten.

4. Bei Würdigung dieser Zeugenaussagen geht die Kammer davon aus, daß den Aussagen der Zeugen Benjamin Jachimowicz, Aron Pernat und David Preisler in diesem Anklagepunkt keine Bedeutung zukommt. Die Zeugen Benjamin Jachimowicz und Aron Pernat haben sich an einen solchen Fall einer Häftlingserschießung nicht von sich aus erinnert, der Zeuge Benjamin Jachimowicz nicht einmal nach Vorhalt seiner früheren Aussage. Dies beweist, daß die beiden Zeugen keine sichere und zuverlässige Erinnerung an einen solchen Vorfall mehr haben.

Der Zeuge Preisler scheidet als möglicher Tatzeuge schon deswegen aus, weil er während seines Aufenthaltes in Jaworzno niemals diesem Kommando angehört hat. im Übrigen nennt er für den von ihm beobachteten Fall einer Häftlingserschießung den SS. Mann ohne Finger, der immer einen Hund dabeigehabt habe, also Kraus oder Lapka, als möglichen Täter.

5. Auch die Zeugen Mosche Jachimowicz und Josef Sieradzki kommen bei dem Inhalt ihrer in der Hauptverhandlung gemachten Aussagen als Tatzeugen für die dem Angeklagten Pansegrau im Anklagepunkt II 1 zur Last gelegte Erschießung eines Häftlings nicht in Betracht.

Angeklagt ist in diesem Fall die Erschießung eines Häftlings des Kraftwerkkommandos beim Rückweg von der Arbeitsstelle ins Lager an „einem nicht mehr feststellbaren Tag im Sommer 1944“. Die Übernahme dieses Tatzeitpunktes durch die Staatsanwaltschaft in die Anklageschrift beruht offenbar auf der Aussage des Zeugen Leszczinsky, der bei seiner polizeilichen Vernehmung nach dem Inhalt des Protokolls dazu sagte:

..“Es war ein Sommertag, vielleicht im Mai oder Juni 1944.“

Gemäß § 264 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Unter Tat in diesem Sinne ist ein konkretes Vorkommnis zu verstehen, ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht hat oder haben soll. Durch die Beschreibung der Tat in der Anklage wird das Gebiet umgrenzt, auf das sich die Verhandlung - einschließlich der Verteidigung des Angeklagten - und die Urteilsfindung erstreckt. Maßgebend ist, welche Tat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt hat (vgl. Kleinknecht, StPO, 34. Auflage Rd.Zi. 2 zu 264 StPO; Loewe-Rosenberg, StPO, 22. Auflage, Anm. 3 zu § 264 StPO; BGH, St 22, 385).

Gegenstand des Verfahrens ist demnach allein die Erschießung eines Häftlings des Kraftwerkskommandos im Sommer 1944.

240

Eine Umgestaltung und Umdeutung der Anklage in dem Sinne, daß die Erschießung irgendeines beliebigen Häftlings des Kraftwerkkommandos zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Juni 1943 und Januar 1945 durch den Angeklagten Pansegrau angeklagt ist, erscheint nicht zulässig. Denn in einem solchen Fall würde - da, wie ausgeführt, davon auszugehen ist, daß es bei diesem Kommando öfters zu Erschießungen von Häftlingen gekommen ist - die Verteidigung des Angeklagten Pansegrau in unzulässiger Weise erschwert und unmöglich gemacht werden (vgl. Loewe-Rosenberg, Anm. 4 aaO). Dabei ist darauf hin zu weisen, daß sich der Angeklagte Pansegrau im vorliegenden Fall der Anklage auch damit verteidigt hat, im Sommer 1944 sei er gar nicht im Lager Jaworzno gewesen und könne deshalb nicht der Täter in diesem angeklagten Fall sein.

Da die beiden Zeugen Josef Sieradzki und Mosche Jachimowicz die Erschießung eines Häftlings durch den Angeklagten Pansegrau im Sommer 1944 nicht gesehen haben, scheiden sie als mögliche Tatzeugen aus. Bei dem Zeugen Mosche Jachimowicz kommt noch hinzu, daß er im Sommer 1944 nach seinen eigenen Angaben nicht dem Kraftwerkskommando, sondern einem Grubenkommando angehört hat.

6. Als einziger möglicher Tatzeuge kommt deshalb in diesem Punkt der Anklage der Zeuge Szabtei Leszczinsky in Betracht.

Bei einer Gesamtwürdigung der von dem Zeugen über seinen Aufenthalt im Lager Jaworzno vorliegenden Äußerungen aus dem Jahre 1960, 1975 und 1976 ist die Kammer der Überzeugung, daß der Zeuge Leszczinsky während seines Aufenthaltes im Lager Jaworzno niemals dem Kraftwerkskommando angehört hat.

Dies ergibt sich insbesondere aus der schriftlichen Äußerung des Zeugen im Rahmen seines Wiedergutmachungsverfahrens. In diesem Verfahren hat der Zeuge schon im Jahre 1960, also nur 15 Jahre nach Kriegsende und 15 Jahre vor seiner ersten Befragung durch den Polizeibeamten Edelsberg von sich aus sehr genau und lückenlos Angaben über die Reihenfolge und die Art seines Arbeitseinsatzes im Lager Jaworzno gemacht. Wie bereits erwähnt, hat der Zeuge dabei mit keinem Wort ausgeführt, daß er jemals dem Kraftwerkskommando zugeteilt gewesen ist.

Auch bei seiner informatorischen Befragung durch den Zeugen Edelsberg im Jahre 1975 hat der Zeuge Leszczinsky nach dem von dem Zeugen Edelsberg gefertigten Bericht erklärt, er sei die ganze Zeit in einer Kohlengrube beschäftigt gewesen.

In diesem Zusammenhang tat auch darauf hinzuweisen, daß der aus derselben Stadt wie der Zeuge Leszczinsky stammende Zeuge Josef Sieradzki ausgesagt hat, Leszczinsky sei bei einem Grubenkommando gewesen. Davon, daß Leszczinsky auch einmal zusammen mit ihm dem Kraftwerkskommando zugeteilt gewesen sei, hat der Zeuge Sieradzki nichts erwähnt.

Unter diesen Umständen hält die Kammer die Angaben des Zeugen in seiner polizeilichen Vernehmung aus dem Jahre 1976, daß er mehrmals dem Kraftwerkskommando angehört habe, nicht für glaubhaft.

Für die Erschießung eines Häftlings des Kraftwerkskommandos kommt der Zeuge Leszczinsky deshalb als Tatzeuge nicht in Betracht.

241

Im Übrigen erscheinen der Kammer die Angaben, die der Zeuge in seiner polizeilichen Vernehmung über den angeblichen Täter gemacht hat, nicht so zuverlässig, um hierauf eine Verurteilung des Angeklagten Pansegrau stützen zu können.

Zwar trifft die recht allgemeine Beschreibung, die der Zeuge dabei von dem SS.Mann Mietliczka gegeben hat (junger, schlanker, großer, blonder SS. Mann, damals 21 oder 22 Jahre alt) im Wesentlichen auf den Angeklagten Pansegrau zu. Auch hat der Zeuge zu einem Bild des Angeklagten Pansegrau (Bild 27 des Bildbandes) erklärt, das sei sicher der SS. Mann Mietliczka. Allerdings hat der Zeuge zu der Person des SS. Mannes Mietliczka auch bekundet, er sei im Lager immer mit einem Hund herumgelaufen. Wie bereits ausgeführt, trifft diese Beschreibung nicht auf den Angeklagten Pansegrau, sondern, jedenfalls von den im Lager eingesetzten Blockführern, nur auf den SS. Unterscharführer Kraus zu. Obwohl der Zeuge zu Beginn seiner Vernehmung erklärt hatte, von den SS. Leuten erinnere er sich auch an Lapka, ist er nach dem weiteren Inhalt der Niederschrift vom 19.3.1976 nicht näher nach diesem SS. Mann gefragt worden.

Da der Zeuge Leszczinsky fälschlicherweise davon ausgeht, der SS. Mann Mietliczka habe im Lager ständig einen Hund gehabt, kann nach Meinung der Kammer nicht sicher ausgeschlossen werden, daß er diesen SS. Mann in seiner Erinnerung mit dem Unterscharführer Paul Kraus verwechselt.

Weiter ergibt sich aus der Aussage des Zeugen Josef Sieradzki, daß Leszczinsky an den Angeklagten Pansegrau keine sichere Erinnerung mehr hat. Der Zeuge Josef Sieradzki, der aus der gleichen Stadt wie der Zeuge Leszczinsky stammt, hat im Rahmen seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung bekundet, er wisse heute, daß der Rapportführer Pansegrau und der SS. Mann mit dem Spitznamen Mietliczka Olejak heiße. Dies habe er von Leszczinsky erfahren. In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, daß sich der Zeuge Leszczinsky bei seiner polizeilichen Vernehmung weder an den Namen Olejak noch an den Namen Pansegrau erinnert hat.

Die Kammer hält deshalb insgesamt die Aussage des Zeugen Leszczinsky nicht für sicher und zuverlässig genug, um hierauf eine Verurteilung stützen zu können.

Unter diesen Umständen kam der Einlassung des Angeklagten und dem insoweit gestellten Hilfsbeweisantrag, daß er nämlich im Sommer 1944 nicht in Jaworzno gewesen sei, keine Bedeutung mehr zu.

7. Nur hilfsweise ist darauf hinzuweisen, daß nach Auffassung der Kammer auch darin nicht eine Verurteilung des Angeklagten Pansegrau in diesem Punkt der Anklage erfolgen könnte, wenn davon ausgegangen werden müßte, daß auch die Erschießung eines Häftlings Ende 1943 von der Anklage miterfasst wäre.

Die Kammer geht zwar, wie erwähnt, davon aus, daß es bei den Außenkommandos des Lagers Jaworzno, also auch bei dem am Bau des Kraftwerks Wilhelm eingesetzten Häftlingskommando, zu Erschießungen von Häftlingen gekommen ist.

242

Das Gericht sieht deshalb die Aussagen der Zeugen Josef Sieradzki und Mosche Jachimowicz, was den Tatablauf selbst betrifft, durchaus für glaubhaft an. Die Aussagen dieser Zeugen reichen aber nicht ans, um den Angeklagten Pansegrau mit einer zu einer Verurteilung ausreichenden Sicherheit als Täter überführen zu können.

Der Zeuge Mosche Jachimowicz hat, wie bereits ausgeführt, das Schießen auf den Häftling selbst nicht gesehen, da sich dieser Vorfall hinter ihm abgespielt hat. Der Zeuge hat sich, wie er selbst bekundet hat, erst umgedreht, als er hinter sich einen Schuß gehört hat. Auch wenn der Zeuge Jachimowicz in diesem Augenblick den Angeklagten Pansegrau mit einer Pistole in der Hand in der Nähe eines am Boden liegenden Häftlings gesehen hat, beweist dies nicht sicher, daß es der Angeklagte Pansegrau war, der auf den Häftling geschossen hat. Alle Häftlingskommandos wurden auf dem Weg vom Lager zur Arbeitsstelle und zurück von einem Kommando der Wachmannschaft des Lagers Jaworzno begleitet, wobei die Angehörigen des Wachkommandos links und rechts der Häftlingskolonne liefen. Die Frage, ob andere SS. Leute in der Nähe des Häftlings waren und ob diese gegebenenfalls ebenfalls eine Waffe in der Hand hatten, konnte der Zeuge nicht beantworten. Unter dieses Umständen kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Schuß auf das Opfer, den der Zeuge Jachimowicz gehört hat, von einem nicht näher bekannten Mitglied der Wachmannschaft abgegeben worden ist.

Zur Aussage des Zeugen Josef Sieradzki ist zu bemerken, daß dieser nach seiner Aussage in der Hauptverhandlung die Erschießung des Häftlings selbst gesehen hat, da sie sich vor ihm abgespielt hat.

Aufgrund der Bekundungen des Zeugen zu der Person des Täters kann nach Auffassung der Kammer aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit geschlossen werden, daß der Zeuge damit tatsächlich den Angeklagten Pansegrau gemeint hat.

Zu Beginn seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung, als sich die beiden Angeklagten noch im Zuhörerraum des Sitzungssaales unter mehreren Vergleichspersonen befanden, deutete der Zeuge Josef Sieradzki auf den Ergänzungsschöffen Zang und erklärte, er glaube, sich an diese Person erinnern zu können. Es sei aber schwer nach so vielen Jahren. Diese Person könne der Mietliczka gewesen sein.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Ergänzungsschöffe Zang mit dem Angeklagten Pansegrau, der etwa 1,75 m groß und schlank ist, insbesondere von der Größe und der Figur her keinerlei Ähnlichkeit hat. Denn der Ergänzungsschöffe Zang ist höchstens 1,70 m groß und von der Figur her untersetzt.

Nachdem unmittelbar darauf die beiden Angeklagten auf der Anklagebank Platz genommen hatten, wobei der Angeklagte Olejak vom Zeugen aus gesehen auf der rechten Seite saß, erklärte der Zeuge, auf den Angeklagten Olejak deutend, er glaube, dies sei der Mietliczka.

Im weiteren Verlauf seiner Vernehmung erklärte der Zeuge Sieradzki dann, wie bereits bei der Würdigung der Aussage des Zeugen Leszczinsky erwähnt, er wisse jetzt, daß der Mietliczka richtig Olejak heiße und der Rapportführer Pansegrau geheißen habe. Dies habe er von Leszczinsky erfahren.

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Bei Vorlage der Bildtafeln erklärte der Zeuge Josef Sieradzki zu den Bildern Nr. 14 und 16 (Bilder des Angeklagten Olejak) und Bild Nr. 12 (Bild des SS. Mannes Paul Kraus), die auf diesen Bildern abgebildeten Personen seien ihm bekannt. Einer davon sei ihm sogar sehr bekannt, dies könne Mietliczka sein. Auch bet Vorlage des Bildbandes erklärte der Zeuge Sieradzki zu einem Bild, das nicht den Angeklagten Pansegrau darstellt, dies könne der SS. Mann Mietliczka sein.

Der Zeuge hat zwar den ihm unter dem Spitznamen Mietliczka bekannten SS. Mann als Täter bezeichnet und die Kammer geht auch davon aus, daß der Angeklagte Pansegrau bei den Häftlingen diesen Spitznamen gehabt hat. Die Aussage des Zeugen beinhaltet unter den geschilderten Umständen jedoch keine genügenden Anhaltspunkte dafür, daß er tatsächlich den Angeklagten Pansegrau meint, wenn er von Mietliczka spricht. Insbesondere hat der Zeuge weder die Bilder des Angeklagten Pansegrau aus dem Jahr 1943 noch den Angeklagten selbst in Person wiedererkannt. Weiter hat auch dieser Zeuge ausgesagt, er habe den ihm unter dem Namen Mietliczka bekannten SS. Mann meistens mit einem Hund im Lager gesehen, während er den SS. Mann Lapka nicht mit einem Hund gesehen habe.

Diese gesamte Aussage des Zeugen in Verbindung mit der Tatsache, daß er die ihm von Leszczinsky mitgeteilte Version, der Rapportführer habe Pansegrau und der Mietliczka habe Olejak geheißen, übernommen hat, beweist, daß der Zeuge an den betreffenden SS. Mann keine so sichere Erinnerung hat, seine um allein auf seine Aussage eine Verurteilung des Angeklagten Pansegrau stützen zu können.

Der Zeuge kann die Tatsache, daß der SS. Mann Pansegrau während seines Aufenthaltes im Lager Jaworzno von Häftlingen mit dem Spitznamen Mietliczka bedacht worden ist, nur von anderen Häftlingen gehört haben. Ob diese Information des Zeugen Sieradzki richtig war, kam die Kammer bei dieser Aussage des Zeugen Sieradzki, die außer einer sehr allgemeinen Beschreibung als jungen blonden SS. Mann keinerlei Bezug zur Person des Angeklagten Pansegrau beinhaltet, nicht überprüfen.

Der Angeklagte Pansegrau war daher in diesem Punkt der Anklage freizusprechen.

III. Fall II 2 (Erschießung eines Häftlings am Lagereingang):

1. In diesem Fall liegt dem Angeklagten Pansegrau zur Last, an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag Ende 1944 einen Häftling eines in das Lager zurückkehrenden Arbeitskommandos der Rudolfsgrube während der Kontrolle am Lagertor die Mütze vom Kopf gerissen, diese weggeworfen und dann auf den Häftling geschossen zu haben, als dieser die Mütze holen wollte.

Als einzigen direkten Tatzeugen für diesen Punkt der Anklage hat die Staatsanwaltschaft den Zeugen Chaim Mastbaum benannt.

In ihrem Schlußvortrag hat die Staatsanwaltschaft ohne nähere Begründung in diesem Fall der Anklage Freispruch beantragt.

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2. Da der Zeuge Chaim Mastbaum einer Vorladung zur Hauptverhandlung keine Folge leistete, wurde er auf 2.1.1979 und 5.3.1979 im Wege der Rechtshilfe durch den zuständigen Richter des Amtsgerichts Tel Aviv im Beisein der gesamten Kammer vernommen. Die dabei gefertigten Vernehmungsniederschriften wurden in der Hauptverhandlung verlesen.

Dabei hat der Zeuge Mastbaum ausgesagt, er sei zusammen mit anderen Häftlingen aus dem Lager Lagischa nach Jaworzno gekommen.

Dort habe er immer in einer Tagesschicht der Rudolfsgrube gearbeitet.

Die Namen der beiden Angeklagten habe er während seines Aufenthaltes im Lager Jaworzno niemals gehört. Von den im Lager tätigen SS. Leuten erinnere er sich noch an einen, der bei den Häftlingen „Lischka“ geheißen habe und an einen weiteren, der den Rufnamen „Rountschka“ gehabt habe. Letzterem hätten wahrscheinlich an einer Hand mehrere Finger gefehlt. Die Namen Mietliczka oder Metlischke kenne er nicht. Er könne sich nicht erklären, wie der Name Metlischke in die Niederschrift über seine polizeiliche Vernehmung gekommen sei, da er diesen Namen nicht kenne. Von Lischka wisse er nur noch, daß er ein großer, hagerer Mann gewesen sei, sonst könne er sich an sein Aussehen nicht erinnern.

Bei Vorlage der Lichtbilder erklärte der Zeuge zu einem den Angeklagten Pansegrau darstellenden Bild (Bild Nr. 8 losen Bilder), dieses Bild erinnere ihn in irgendeiner Weise an Lischka, er sei sich aber nicht sicher.

Dann schilderte der Zeuge Mastbaum einen Fall einer Häftlingserschießung durch den SS. Mann. Lischka, als ob er das Schießen auf den Häftling selbst gesehen habe. Im Rahmen einer Kontrolle am Lagertor nach der Rückkehr von der Arbeit sei auch der SS. Mann Lischka anwesend gewesen. Lischka sei an einen Häftling herangegangen, habe ihm die Mütze vorn Kopf gerissen und sie weggeworfen. Der Häftling sei in Richtung der Mütze gerannt, um sie wieder aufzuheben. Lischka sei an dem Ort stehengeblieben, an dem er dem Häftling die Mütze vom Kopf gerissen habe. Während der Häftling noch in Richtung seiner Mütze gerannt sei, habe Lischka „halt“ gerufen. Der Häftling sei aber nicht stehengeblieben, sondern in Richtung seiner Mütze weitergelaufen. Als der Häftling noch etwa einen Meter von seiner am Boden liegenden Mütze entfernt gewesen sei, habe Lischka mit seiner Maschinenpistole auf ihn geschossen. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob es ein Einzelschuß oder eine Salve gewesen sei. Der betreffende Häftling sei von Mithäftlingen in den Krankenbau gebracht worden. Später habe er selbst dann gehört, der Häftling sei schon tot gewesen, als er im Krankenbau abgeliefert worden sei.

Im weiteren Verlauf seiner Vernehmung erklärte der Zeuge Mastbaum dann plötzlich, er habe den ganzen Vorfall bis zur Abgabe des Schusses nicht selbst gesehen. Die ganze Sache habe sich hinter seinem Rücken ereignet und er habe sich erstmals nach hinten umgedreht, als er den Schuß oder die Schüsse gehört habe. Zu diesem Zeitpunkt habe der Häftling bereite am Boden gelegen. In der Nähe des Häftlings sei der SS. Mann Lischka und auch noch andere SS. Leute mit schußbereiter Waffe gestanden.

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Wer die Schüsse abgegeben habe, habe er nicht gesehen. Von anderen Häftlingen seines Kommandos, deren Namen er heute nicht mehr wisse, habe er dann erfahren, daß Lischka auf den Häftling geschossen habe.

Auch bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 16.3.1976, die ihm wiederholt vorgehalten worden ist, hat der Zeuge Mastbaum diesen Vorfall so geschildert, als ob er den gesamten Vorgang als Augenzeuge beobachtet habe.

Zur Aussage des Zeugen Mastbaum ist zunächst zu bemerken, daß die Kammer aufgrund des im Fall I 1 der Anklage bereits dargelegten Ergebnisses der Beweisaufnahme (vgl. 349 - 353) es nicht als erwiesen ansieht, daß sich ein von dem Zeugen geschilderter Vorfall einer Häftlingserschießung am Lagertor überhaupt ereignet hat.

Im Übrigen könnte eine Verurteilung des Angeklagten Pansegrau aufgrund der Aussage des Zeugen Mastbaum auch deswegen nicht erfolgen, da der Zeuge Mastbaum das Schießen auf den betreffenden Häftling nicht selbst gesehen hat und deshalb zu dem Täter aus eigener Kenntnis keine Angaben machen kann. Für die Kammer besteht keinerlei Kontrollmöglichkeit, ob die dem Zeugen von den namentlich nicht bekannten Mithäftlingen gegebene Erklärung, der SS. Mann Lischka habe geschossen, richtig war.

Entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft war der Angeklagte daher in diesem Punkte freizusprechen.

IV. Fall II 3 der Anklage (Erschießung eines Häftlings in der Nähe des Magazins):

In diesem Fall der Anklage liegt dem Angeklagten Pansegrau zur Last, an einem arbeitsfreien Sonntag im Sommer 1944 einen Häftling im Lager in der Nähe des Magazins mit einem Pistolenschuss in den Oberkörper getötet zu haben. Als direkten Tatzeugen hat die Staatsanwaltschaft den Zeugen Jona Schwarz und als möglichen Tatzeugen den Zeugen Szabtei Leszczinsky benannt.

In diesem Fall der Anklage hat die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten Pansegrau wegen eines Verbrechen des Mordes beantragt.

1. Die Aussage des Zeugen Schwarz zur Person des Angeklagten Olejak und zu dessen Anwesenheit im Lager Jaworzno und bei der Evakuierung des Lagers wurde bereits erörtert (vgl.. 298 bis 301). Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen. Aufgrund des übrigen Ergebnisses der Hauptverhandlung geht die Kammer davon aus, daß die Aussage des Zeugen Schwarz, er habe den Angeklagten Olejak als Rapportführer in Jaworzno kennengelernt objektiv nicht richtig ist, da der Zeuge erst im Juni 1944 nach Jaworzno gekommen ist. Weiter wurde bereits darauf hingewiesen, daß dieser Zeuge über das vorliegende Verfahren und über die mögliche Identität des Angeklagten Pansegrau mit dem SS. Mann mit dem Spitznamen Besen oder Mietliczka von dritter Seite informiert worden ist.

Aschaffenburg (
Auschwitz Prozess) Teil 11