Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium
Im November 1969 kam in der Bundesrepublik ein seit langem schwelendes Verfahren gegen Dr.-Ing. Albert Ganzenmüller (1905-1996) unter anderem durch Erlass eines Haftbefehls wieder in Gang. Der vormalige Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium und Stellvertretender Bevollmächtigter der Deutschen Reichsbahn galt als NS-Aktivist der ersten Stunde. 1942 berief Adolf Hitler ihn persönlich in sein Amt. Als höchstem Beamten in seinem Ministerium unterstanden ihm vormals unter anderem jene Abteilungen, die Transportraum für die Massendeportationen bereitstellten.
Nach Kriegsende floh Ganzenmüller aus dem Internierungslager Moosburg an der Isar und setzte sich wie viele Nationalsozialisten nach Argentinien ab. 1955 kehrte er in die Bundesrepublik jedoch zurück und machte Karriere in der Firma Hoesch in Dortmund. 1957 wurden Ermittlungen gegen Ganzenmüller eingeleitet, da man ihn beschuldigte, Eisenbahnzüge für Deportationen in die Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor, Treblinka usw. bereitgestellt zu haben. Als die Anklageerhebung abzusehen war, bot die Firma Hoesch Ganzenmüller die Versetzung auf einen „Auslandsposten“ an, um „weiteren Unannehmlichkeiten“ zu entgehen. Es dauerte aber bis 1971 ehe das Oberlandesgericht Düsseldorf die Hauptverhandlung gegen ihn wegen Beihilfe zum Mord und Freiheitsberaubung im Amt mit Todesfolge zuließ.
Währenddessen schlug der DDR-Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul der Generalstaatsanwaltschaft der DDR, wie beim 1. Auschwitz-Prozess, wieder ein Nebenklageverfahren vor. Durch Kooperation mit der in Warschau ansässigen „Hauptkommission für die Erforschung nationalsozialistischer Verbrechen in Polen“, die eine Vollmacht eines jüdischen Überlebenden beschaffte, gelang dies auch. Das Hauptziel der Nebenklage bestand darin, „durch Publikationen propagandistisch zu versuchen, die Entscheidung des Oberlandesgericht zu beeinflussen“. Zudem wollte Kaul ein noch zu
benennendes Vorstandsmitglied des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch in den Zeugenstand zitieren, um bekanntgewordene Offerte des Konzerns, Ganzenmüller ins Ausland zu entsenden, auszuschlachten. Die Erwartungen der DDR an die Nebenklage erfüllten sich jedoch nicht. Das Gericht
eröffnete zwar am 10. April 1973 den Prozess, stellte ihn jedoch nach wenigen Sitzungen wegen Krankheit des Angeklagten erst vorläufig und 1977 dann endgültig wegen Verhandlungsunfähigkeit ein. Ganzenmüller lebte danach noch fast 20 Jahre, bis er im Alter von 91 Jahren im März 1996 verstarb.
Quelle: Henry Leide, BStU