SS-Hauptsturmführer und Regierungsrat

* 15.09.1911 Recklinghausen

1933
Eintritt in die SA

ab 1935
Mitglied im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund

1937
Eintritt in die NSDAP

1938
Hilfsrichter am Landgericht Elbing

1939
Anstellung bei der Gestapo

ab 1940
Anstellung bei der Gestapo-Leitstelle in Berlin

ab 1940
vertretungsweise Leiter der Gestapo Düsseldorf


00.01.1940
Aussagen Adolf Eichmann im Prozeß in Israel
Es mag etwa Frühjahr 1940 gewesen sein, da wurde mir das Referat IV B 4 ( Eichmanns im Januar 1940 errichtetes Referat IV D 4 "Räumungsangelegeneheiten" wurde im März 1941 in IV B 4 "Judenangelegenheiten, Räumungsangelegenheiten" umbenannt) des Amtes IV, daß bis dahin ein SS-Stubaf. Reg.Rat Lischka innehatte, durch eine Verfügung des Amtschefs IV übertragen, mit SS-Hptstuf. Rolf Günther als ständigen Vertreter. Aus Gründen die ihre Ursache im Raummangel hatten, wurde das Referat, wie einige andere Referate des Amtes IV auch, außerhalb untergebracht und zwar in die Kurfürstenstraße 116.
Neben Mobilar kamen die bis dahin unter Lischka diensttuenden Beamten: Regierungsamtmann Fritz Wöhrn) , Polizeioberinspektor Ernst Moes, 2 Polizeiinspektoren, 1 Kriminalsekretär, einige Polizeiangestellte für Schreibarbeit und Registratur.

Später kamen noch hinzu SS-Stubaf. Reg.Rat Friedrich Suhr, Reg.Ass. Huntsche Otto Hunsche, er kam von der Justiz und Reg.Ass. Friedrich Boßhammer.

Sie führten, wie gewohnt, ihre normalen Staatspolizeilichen Arbeiten wie bisher weiter. Eine Tätigkeit, die sowohl Günther als auch mir bis dahin fremd war. Aber es waren alles eingearbeitete Beamte, die ihre Vorschriften genau kannten, Vorschriften (Weisungen, Befehle, Gesetze, Verordnungen, Erlaße), in die Günther und ich mich nun auch "hineinknien" mußten und studierten.

Dr. Rajakowitsch, der sich beim Ausbruch des Krieges 1939 freiwillig meldete, kam auch nach Berlin; er war wie stets ein außerordentlich gemäßigter und kluger Jurist, auf dessen Hilfe ich desswegen nicht gerne verzichtete, weil er die lebendige praktische Juristik und nicht die trockene Behördenjuristerei verkörperte.

Mit ihm besprach ich lange und eingehend den Madagaskarplan, den ich, nun mir der Generalgouvernement-Plan so verdorben war, durch. Bekannt gemacht wurde ich mit solch einer Möglichkeit schon vor Jahren, als ich Böhm's "Judenstaat" gelesen hatte.

Und diesmal, gewitzigt durch die Erfahrungen szt. im Gen. Gouv. wollte ich ganz vorsichtig und ganz behutsam und mich nach allen Seiten sichernd vorgehen. Amtschef IV, nunmehr SS-Gruppenführer, Reichskriminalpolizeidirektor (Kriminaldirektor Müller) erwirkte das Einverständnis Heydrichs. Sicherlich holte dieser sich seinerseits dazu die Zustimmng Himmlers.

Die Insel Madagaskar szt. noch in französ. Besitz, sollte nach dem Kriege anläßlich des Friedensvertrages von Frankreich herausgehandelt werden, so überlegte ich, und den Juden als bleibende Heimstätte unter deutschem Protektorat übergeben werden. Dieser Plan begeisterte mich noch mehr, als der sztige (seinerzeitige) Polenplan, da ich an den Sieg damals glaubte und Schwierigkeiten nur noch in den eigenen deutschen Zentralinstanzen und der NSDAP befürchtete. Aber Heydrich war dafür und das andere wollte ich mit Dr. Rajakowitsch, der inzwischen auch schon SS-Untersturmführer war, zusammen erledigen.

ab 00.11.1941
vertretender Sachgebietsleiter im Eichmannreferat (IV B 4b - Recht) des RSHA

ab Herbst 1942
Sachgebietsleiter im Eichmannreferat (IV B 4b - Recht) des RSHA
(Seine Aufgaben umfassten Rechtsfragen, die insbesondere die Aberkennung der Staatsangehörigkeit und Konfiszierung des Vermögens der Deportationsopfer betrafen)

16.03.1944
In der Nacht zum 19. März 1944 marschierten Wehrmacht und SS in Ungarn ein.
Adolf Eichmann schlug mit seinem Stellvertreter
Hermann Krumey und weiteren 14 SD-Führern sein Hauptquartier im ehemaligen Stundenhotel Majestic in Budapest auf. Zuerst galt es, den rechtlichen Rahmen für die Massendeportationen abzustecken und die Gesetzgebung des ungarischen Staats den NS-Paragraphen anzugleichen: Arbeit für Regierungsrat Otto Hunsche, der als einziger Jurist im Stabe Eichmanns der Budapester Regierung beratend zur Hand gehen konnte. Bei der Großaktion in Budapest war sogar daran gedacht, neben der Gendarmerie und dem Polizeinachwuchs auch sämtliche Briefträger - und Schornsteinfeger der Hauptstadt "als Lotsen" einzusetzen.
Die Verhandlungen mit den jüdischen Gemeindevorsitzenden und andere Kontakte zur Öffentlichkeit überließ der menschenscheue Eichmann keinen Stellvertreter. Hermann Krumey war auch verantwortlich für die ersten Judenverhaftungen, die vor der eigentlichen Aktion angeordnet worden waren und deren Opfer die Gefängnisse von Budapest sowie das von Eichmann eingerichtete Internierungslager Kistarcsa füllten. Gleichermaßen war Krumey mit der Erpressung von Geld und Sachwerten beschäftigt. Am 21. März forderten Hunsche und der SS-Hauptsturmführer Novak, indem sie sich auf Krumeys Befehl beriefen unter Drohungen vom jüdischen Zentralrat in Budapest die sofortige kostenlose Lieferung, von 300 Matratzen, 600 Decken, 100 Daunendecken, 30 Schreibmaschinen und einem Klavier.
Eine andere Forderung mußte der jüdische Zentralrat binnen 24 Stunden erfüllen: je eine komplette Einrichtung für einen Luxus-Herren- und -Damen-Frisiersalon. Für sich selbst erwarb Krumey diesem Weg in Watteau -Gemälde, seine Sekretärin Eva Ferchow begnügte sich mit Wäsche, Parfüm, einem Champagner-Service und einer Toilettengarnitur.
Die Begehrlichkeit der SS-Führer nach Geld und anderen Werten nutzte die jüdische Prominenz zu dem verzweifelten Versuch, wenigstens einige Angehörige ihres Volkes von der drohenden Deportation freizukaufen. Eichmann, der auf alle Fälle einen zweiten Getto-Aufstand nach Warschauer Vorbild vermeiden wollte, sah in diesen Verhandlungen einen nicht zu unterschätzenden Beruhigungsfaktor und ließ deshalb Krumey zusammen mit Hunsche um Menschenleben feilschen.
Millionenwerte an ausländischem Geld, Gold und Schmuck wechselten den Besitzer. Aber nur 1709 ungarische Juden, für die pro Kopf 1000 Dollar bezahlt wurden, entgingen Auschwitz und kamen statt dessen in das KZ Bergen-Belsen, wo Krumey sie später noch einmal durchmusterte und in zwei Transporten über die Schweizer Grenze abschieben ließ.
Gleichzeitig gingen die Organisationsarbeiten des Sonderkommandos zur Massendeportation weiter. Der 16. April 1944 war der Stichtag für die Einrichtung der Gettos. Zu Zehntausenden wurden die Juden in alten Ziegeleien, Fabriken oder auf freiem Feld zusammengetrieben. Vom 15. Mai 1944 ab rollten die Eisenbahnzüge in Richtung Auschwitz: täglich vier Züge mit je 3000 Personen.

Um das Ziel der Transportzüge zu,verschleiern, ließ Krumey unter den ersten Deportierten: 30 000 Postkarten verteilen, auf denen "Waldsee" als Absendeort angegeben werden mußte. Die mit 30 Wörtern deutschen Textes beschriebenen Karten, auf denen von glücklicher Ankunft, die Rede war, kamen mit Kurier nach Budapest und wurden an die noch Zurückgebliebenen verteilt.
Erst als einer der Zentralräte, von Freudiger, auf einigen Waldsee-Postkarten unauffällige hebräische Zeichen entdeckte, die das Wahre Transportziel die Gaskammern von Auschwitz nannten, gab Krumey die Verschleierung auf und drohte: "Freudiger, ich kenne Sie als gescheiten Menschen. Sie müssen nicht alles bemerken."
Bis zum 9. Juli 1944 hatte Eichmanns Kommando 437 402 Juden aus ganz Ungarn auf die Rampe von Auschwitz geschickt, von denen 300 000 sofort vergast wurden.

16.04.1945
Am 16. April 1945 begleiteten SS-Hauptsturmführer und Regierungsrat im Reichssicherheitshauptamt Otto Hunsche und SS-Obersturmbannführer Hermann Krumey den Repräsentanten des Jüdischen Rettungskomitees Budapest Rudolf Kasztner in das Ghetto Theresienstadt zu einer Aufführung des Propagandafilms „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ um der ausländischen „Greuelpropaganda“ bezüglich der Massenmorde an Juden entgegenwirken zu können.
Eichmann hatte Kasztner nach Theresienstadt geschickt, um in einer letzten Anstrengung das Täuschungsmanöver des Vorzeigeghettos noch einmal auszubeuten. Bei der Aufführung waren außerdem Hans Günther, sein Stellvertreter, der SS-Sturmbannführer Gerhard Günel, sowie Karl Rahm anwesend. Auch der Judenälteste des Ghettos, Benjamin Murmelstein, durfte den Film bei dieser Gelegenheit sehen.

12.05.1945
auf einer Alm bei Altaussee festgenommen und bis 1948 im Internierungslager Esterwegen interniert
Nach seiner Entlassung wurde er im Rahmen der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft.

ab 1954
in
Datteln als Rechtsanwalt tätig

1962
vom Landgericht Frankfurt am Main wegen Beihilfe zum Mord an 600 Menschen“ zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Hunsche war auch diese Strafe noch zu hoch; als „erfahrener Jurist“ erreichte er, daß das Urteil aufgehoben und ein neues Verfahren eingeleitet wurde.

20.05.1963
der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil des Landgerichtes Frankfurt am Main von 1962 auf mit der Maßgabe einer Korrektur des Strafmaßes. Das Verfahren wurde daraufhin mit dem von Krumey verbunden und als Krumey-Hunsche-Prozess bekannt. In diesem Prozess wurde Hunsche, der von Hans Laternser verteidigt wurde, am 3. Februar 1965 freigesprochen. Krumey wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Nachdem auch dieses Urteil vom BGH aufgehoben wurde, kam es zu einem erneuten Prozess. Am 29. August 1969 wurde Hunsche wegen Beihilfe zum Mord zu zwölf Jahren und Krumey wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt
Verfahren gegen Hermann Krumey und Otto Hunsche/LG Frankfurt am Main- Anklageschrift StA b. LG Frankfurt/M.(Az.: 4 Js 1017/59)

27.04.1964
Im Frankfurter "Gallus-Haus" verhandelte das Frankfurter Schwurgericht gegen den SS-Obersturmbannführer (Drogisten) Krumey Hermann und SS-Hauptsturmführer und Regierungsrat im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) Hunsche Otto (Rechtsanwalt in Datteln). Beide waren leitende Mitarbeiter im Sondereinsatzkommando Eichmann
(organisierte die Deportation der ungarischen Juden in die Vernichtungslager).

Die Staatsanwaltschaft warf den "Schreibtischtätern" die Beteiligung an der Ermordung von wenigstens 300 000 jüdischen Menschen und „räuberische Erpressung" vor.

Breiten Raum in den Gerichtsverhandlungen wird das makabre Tauschgeschäft „Blut gegen Ware" einnehmen. Eichmann hatte bekanntlich zunächst 100000 Juden die Auswanderung aus Ungarn gegen Zahlung von zwei Millionen Dollar in Aussicht gestellt. In die Verhandlungen waren Krumey und Hunsche eingeschaltet, die sich auf diese Weise gleichzeitig ein Alibi gegenüber den heranrückenden Alliierten zu verschaffen hofften. Später verlangte die SS für eine Million Juden 200 Tonnen Tee, 800 Tonnen Kaffee, 2 Millionen Stück Seife und 10 000 Lastkraftwagen. Während kleinere Gruppen von Juden durch derartige Leistungen gerettet werden konnten, wurde die Deportation der überwiegenden Mehrheit forciert.

Wie die SS-Schergen von Auschwitz wollen auch Hunsche und Krumey nichts mit den Mordaktionen zu tun gehabt haben. Feige lehnen sie jede Verantwortung für das, was damals unter ihrer aktivsten Mitwirkung geschah, ab.Der ehemalige Regierungsrat im Reichssicherheitshauptamt der SS, Hunsche, beschwerte sich, darüber, daß ihm nicht genügend Zeit zum Studium der Beschuldigungen gelassen worden sei, worauf der Gerichtsvorsitzende fragte, ob denn die vergangenen zehn Monate nicht für dieses Studium ausgereicht hätten. „Mein Leben ist zugrunde gerichtet", jammerte der Angeklagte, der seinerzeit keine Skrupel hatte, Hunderttausende Menschen der Vernichtung preiszugeben.

Krumey benimmt sich nicht weniger widerlich. Mitieidheischend brach der ehemalige SS-Obersturmbannführer am zweiten Verhandlungstag immer wieder in Tränen aus, wobei er weiszumachen versuchte, er sei schon im Juni 1944 als Stellvertreter Eichmanns in Ungarn entlassen und „über Nacht" nach Wien versetzt worden. Auf die Frage, wieso er einen verantwortlichen Posten bei der Wiener Außenstelle des „Sonderkommandos Eichmann" bekommen habe, wenn er doch, wie er behaupte, angeblich nicht tragbar gewesen sei, blieb Krumey allerdings die Antwort schuldig. Als Abgeordneter des BHE im Korbacher Kreistag, dem er trotz seiner Vergangenheit mehrere Jahre angehörte, trat Krumey wesentlich forscher auf. Die Korbacher erinnern sich an zündende Ansprachen des ehemaligen SS-Führers, in denen allerdings nie von der Schuld der Nazis die Rede war, dafür um so mehr von dem „Unrecht, das den Deutschen zugefügt wurde".

Nach Ausführungen des in Israel lebenden 68 Jahre alten Hofrats Philipp Freudinger, der damals in Budapest dem Judenrat angehörte, war der SS-Obersturmbannführer Krumey jedoch für die Juden„die höchste Instanz". Die ungarischen Juden erkannten damals noch nicht in Eichmann, der sich in der Öffentlichkeit kaum zeigte, den Hauptverantwortlichen für die Verschleppung. Es sei Krumey gewesen, der zusammen mit dem SS-Sturmbannführer Wisliceny die Juden belogen habe, sie kämen nur zum Arbeitseinsatz. Dabei soll Krumey dem Zeugen eines Tages selbst indirekt eingestanden haben, daß die Juden nach Auschwitz verschleppt würden.

Der Zeuge bezeichnete Krumey als den Mann,der vom Judenrat viereinhalb Millionen Pengö in Empfang genommen habe. Sie galten als erste Rate zum Freikauf der ungarischen Juden. Insgesamt hätten nach dem Vorschlag Wislicenys, den Himmler jedoch nie akzeptiert habe, die ungarischen Juden für einen Betrag von zwei bis drei Millionen Dollar losgekauft werden können. Nachdem Krumey die erste Rate in Empfang genommen habe, habe sich das Sonderkommando Eichmanns nie mehr zu diesem Freikauf dem Judenrat gegenüber geäußert. Das Geld habe jedoch keinem Juden das Leben gerettet, denn „auf Grund dieser Zahlung erfolgte nichts". Er habe, sagte der Zeuge, auch Krumey vergeblich gebeten, für diese Summe wenigstens 600 Kinder, die wegen der Besetzung Ungarns durch die Deutschen im März 1944 nicht mehr wie geplant nach Palästina ausreisen konnten, jetzt doch noch ziehen zu lassen.

„Die ungarischen Behörden hielten auf Befehl der Deutschen die Fiktion aufrecht, die Juden würden nur ausgesiedelt und es passiere ihnen nichts." Als am 15. Mai jedoch mit der Deportierung der ersten dreihunderttausend Juden begonnen worden sei, habe Krumey immer noch behauptet, sie müßten in Deutschland nur arbeiten. Des Zeugen Frage, warum denn auch Greise und Kinder deportiert würden, habe Krumey mit der Lüge beantwortet, die Deutschen hätten gelernt, daß man Familien nicht zerreißen dürfe, wenn man „anständige Arbeit haben will". Sie würderi nach Waldsee in Thüringen gebracht. Als Krumey nach einigen Wochen unter den Juden einige hundert Karten von bereits verschleppten Familienmitgliedern verteilen ließ, entdeckte Freudinger auf einer Karte das eingekratzte Wort Auschwitz. Die Karten sollten angeblich aus Waldsee stammen.

Über die Vernehmungsmethoden der Verteidigung empörte sich eine Zeugin: „Bin ich hier die Angeklagte? Wir waren damals nur kleine Drecksjuden, die versuchten, Menschenleben zu retten. Wir wußten, als die SS und auch Krumey in Ungarn erschienen, daß die Mörder unserer Landsleute kamen.“ Prozeßbeobachter machen dem Gerichtsvorsitzenden Vorwürfe, daß er es zu derartigen Szenen kommen läßt. Sie sind ungehalten, daß er nicht einschreitet, wenn die Verteidigung einen Zeugen fragt: „Sie hassen Krumey? Wollen Sie, daß Krumey hier verurteilt wird?“
Dagegen zeigte sich der Schwurgerichtsvorsitzende, Landgerichtsdirektor Arnold Schmidt, dem Anklagevertreter gegenüber sehr energisch. Staatsanwalt Steinbacher hatte auf weitere Fragen an Hunsche mit dem Hinweis verzichtet, „im Moment sind ohnehin keine konkreten Antworten zu erwarten“. Darauf Schmidt: „Geben Sie bitte keine Erklärungen ab. Wenn Sie keine Fragen haben, setzen Sie sich bitte.“ Steinbacher: „Ich bin sehr erstaunt über diesen Ton“. Schmidt: „Sie werden sich an meine Prozeßführung halten müssen.“

Ist dieser Prozeß um die Ermordung der ungarischen Juden so schwierig zu führen? Für den „Ungarn-Komplex“ gibt es genügend Material „schwarz auf weiß“. Neben den Akten, die dem Verfahren zugrunde liegen, hat Joel Brand – vergeblich – einen „Berg von Dokumenten“ angeboten, genauso – vergeblich – der Schriftsteller Jenö Levai aus Budapest. Der Nebenkläger, Rechtsanwalt Ormond, beantragte während der Beweisaufnehme die Verlesung eines Dokumentes. Darüber kam es zu Meinungsverschiedenheiten.

„Offensichtlich wollen Sie davon keine Kenntnis nehmen“, resignierte der Anwalt.
„Wollen Sie mir etwa Rechtsbeugung und Voreingenommenheit vorwerfen?“ erregte sich der Gerichtsvorsitzende.
„Jawohl“, sagte Ormond unbeirrt. „Ich betrachte Sie als voreingenommen. Die Nebenkläger haben sich bereits vor der Beweisaufnahme überlegt, den Schwurgerichtsvorsitzenden als befangen abzulehnen, haben aber davon abgesehen, um den Prozeß nicht noch weiter hinauszuzögern.“

Ormond erhielt keine Gelegenheit, seinen Vorwurf zu begründen. Die Verhandlung ging weiter, nachdem sich Landgerichtsdirektor Schmidt die „beleidigenden Ausführungen verbeten“ hatte.

Die Zeugenaussagen in der Verhandlung boten nach Ansicht des Gerichts "keine geschlossene Indizienkette", die eine Verurteilung gemäß den Strafanträgen gestattet hätte. Dem Gericht muß bestätigt werden, daß "Selbsterlebtes mit nachträglich Gehörtem" sich wieder und wieder unüberhörbar mischte, daß die Rollen Krumeys und Hunsches während der "Endlösung der Judenfrage in Ungarn" nicht deutlich wurden.

Wieweit, von wann an und in welcher Haltung sie zur Täuschung der Opfer beitrugen, die lange erfolgreich hoffen gemacht wurden, sie kämen wenigstens in Arbeitslager, ist nicht klargeworden. Es blieb offen, ob nicht entscheidende Zeugen Krumey mit dem 1948 in Preßburg hingerichteten SS -Hauptsturmführer Wisliceny verwechselt haben, der nach Angaben des Angeklagten Eichmanns tatsächlicher Vertreter gewesen sein soll. Nicht geklärt wurde durch Aussagen, in welcher Funktion Krumey und Hunsche 1944 in Budapest an Konferenzen teilgenommen haben, während derer der von der SS befohlene "Judenrat" infam getäuscht wurde. Wieweit die Angeklagten mit den judenräten außerhalb Budapests in Verbindung standen, blieb gleichfalls ungeklärt. Ob sie "reine Verwaltungsarbeit" taten oder auch noch Aktivisten des Regimes waren, wurde nicht sichtbar. Lediglich was Krumey angeht, fand das Gericht Gesichtspunkte, die seine glimpfliche Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord ermöglichten.
Nicht einmal "räuberische Erpressung", die Mitwirkung Krumeys und Hunsches bei dem Versuch Eichmanns, jüdische Menschen gegen Ware anzubieten, konnte bewiesen werden. Zwar hatte ein jüdischer Teilnehmer an diesen Verhandlungen, Joel Brand, noch kurz vor seinem Tod 1964 dazu ausgesagt. Aber gerade Joel Brand hatte in verständlichster Ungeduld seine Aussage getrübt, als er dem Gericht vorwarf, es vernachlässige seine Pflicht, die historische Wahrheit zu erforschen. Eine Aufgabe, die nicht die erste Pflicht des Gerichts sein konnte.

Vorwürfe gegen den Vorsitzenden des Schwurgerichts und daraus abgeleitete Kritik am Urteil zielen vor allem auf seinen Umgang mit der Verteidigung. Landgerichtsdirektor Schmidt habe die Verteidigung nicht in die Schranken gewiesen.

Die Verteidigung spielte zweifellos eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt jedoch, weil ihr ein ethisch starkes, sachlich schwaches Anklagegebäude gegenüberstand. Sie tat, was Pflicht der Verteidigung ist: Sie rang um jede Aussage. Als es ans Plädieren ging, konnte sie - wenigstens - auf verbliebene Zweifel hinweisen. Anklage und Nebenklage sprachen zwar jedem aus dem Herzen, der eine Meinung von den Schreibtischtätern hat, aber sie drangen nicht vor zum Gewissen und Verstand der Mehrheit des Gerichts, der drei Berufsrichter und der Frau und der fünf Männer, die ihm als Geschworene angehörten.Das Gericht war der Meinung, seine Achtung vor den Opfern durch strengste Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze bei der Beweiserhebung und Beweiswürdigung ausdrücken zu müssen. Herr Hunsche befindet sich auf freiem Fuß. Die U-Haft Krumeys dauert an, in einer anderen Sache laufen noch Ermittlungen gegen ihn.Hier hat das unselige, nach dieser Verhandlung unvermeidliche Urteil einen Makel: Das Strafmaß für Krumey deckt die Zeit seiner U-Haft. Hier leistete das Gericht einen Beitrag zum Thema "U-Haft in Deutschland". Hätte Krumey nicht vier Jahre Zuchthaus bekommen, wenn er sich seit drei Jahren und neun Monaten in U-Haft befunden hätte?


Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben Revision eingelegt. Das Urteil mag schon deshalb der Überprüfung nicht standhalten, weil die zeitweise turbulente Verhandlung zu formalen Fehlern geführt haben kann. Doch auch eine neue Verhandlung gegen Krumey und Hunsche würde gegen den immer dunkleren Hintergrund getrübter Erinnerung, verstorbener Zeugen und dagegen geführt werden müssen, daß die Männer in den ersten Reihen und in der Mitte einer Mörderkolonne privilegiert sind. Sie haben nicht mit eigener Hand gemordet. Sie haben Tinte an den Händen. Sie sind erst durch das NS -Regime zu einer Aufgabe der Gerichte geworden.

30.08.1968
Schon einen Tag nachdem ihn das Frankfurter Schwurgericht zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt hatte, erhob Hunsche, am 30. August 1968, Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel, die drohende Zwangsüberstellung für grundgesetzwidrig zu erklären.

Verfassungswidrig könnte -- so Anwalt Eggert -- "schon die zwangsweise Benutzung des Luftweges" sein. Sein Mandant wollte nicht freiwillig in ein Flugzeug nach Berlin steigen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wies die Beschwerde als "offensichtlich unbegründet" zurück.

Bei der Suche nach anderen Möglichkeiten, Hunsche doch noch vor einer Berlin-Reise zu bewahren, gingen Eggert "Hinweise aus Kreisen des hessischen Justizministeriums" zu. Ihm sei gesagt worden, so der Anwalt, es sei womöglich leichter, Hunsche in Hessen zu halten, wenn ein hessischer Haftbefehl vorliege.

Sogleich versuchte es der Verteidiger mit diesem Kniff. Er ersuchte die Richter des Oberlandesgerichts, für seinen Mandanten einen Haftbefehl auszufertigen -- womit er, wie er selber bekundete, "Heiterkeit erntete". Aber trotz frischen Haftbefehls, den der Staatsanwalt schon früher gefordert hatte, bekräftigte das hessische Justizministerium am 25. November letzten Jahres, kurz vor Mitternacht, seine Anordnung, die "Verlegung weisungsgemäß durchzuführen.

Am nächsten Morgen ging der Transport ab. Aber noch während die "Grüne Minna" in Richtung Hannover rollte, wurde Eggert noch einmal aktiv. Hunsches schlechter Gesundheitszustand, der kurz vor der hessischen Landesgrenze im Gefängnislazarett Kassel-Wehlheiden nochmals eine ärztliche Untersuchung wegen der Transportfähigkeit des Flugunwilligen notwendig machte, verschaffte den erforderlichen Zeitgewinn.

Diesmal buchte Eggert einen Erfolg. Das Oberlandesgericht in Frankfurt setzte vorläufig -- bis zu einer Entscheidung über Hunsches Argumentation -- "die Überstellung des Antragstellers" aus.

Die endgültige Entscheidung steht jetzt, zehn Monate später, bevor. Das OLG muß darüber befinden, ob Hunsches Überführung nach West-Berlin rechtswidrig wäre und mithin Anwalt Eggert recht hätte, der so begründet:

Berlin sei ein "Gebiet minderen Rechts", weil gegen Entscheidungen der dortigen Staatsgewalt keine Verfassungsbeschwerde erhoben werden könne. Eggert: "Es ist undenkbar, daß ein mit sämtlichen verfassungsmäßig garantierten Rechten ausgestatteter Bundesbürger gezwungen wird, sich in ein Gebiet zu begeben ... in welchem nicht verfassungsmäßige Rechte im gleichen Umfang wie im Bundesgebiet gewährt werden können."

Beim Oberfliegen der DDR bestehe die Gefahr einer Not- oder Zwangslandung; da in der DDR noch für 21 Delikte die Todesstrafe verhängt werden kann -- unter anderem für Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit -, befürchtet der ehemalige Judenreferent nach einer solchen unfreiwilligen Landung, eventuell zum Tode verurteilt zu werden. Eggert: "Ein Einschreiten der alliierten Schutzmächte kann nur als vage Hoffnung betrachtet werden."

Sollte das Frankfurter Oberlandesgericht, dessen Entscheidung unanfechtbar ist, sich den Rechtserkenntnissen von Eggert und Hunsche anschließen, würde gegenüber West-Berlin eine Rechtsübung eingeführt, die bisher nur gegenüber ausländischen Staaten gilt -- das Verbot einer Auslieferung.

Rechtsanwalt Eggert: "Das Verbot der Auslieferung muß auch gegenüber dem Land Berlin durchgreifen."